»Capriccio«: Der Schluß-Monolog der Gräfin (Madeleine) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Capriccio«: Der Schluß-Monolog der Gräfin (Madeleine)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Capriccio«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Es gibt kaum Abende im Haus am Ring, welchen nicht ein Erkenntnisgewinn abzutrotzen wäre; unbeschadet aller Geschehnisse. Diesfalls kann von einem guten Repertoire-Abend berichtet werden.

II.
Erste Erkenntnis: Clemens Krauss’ Text zu Capriccio, »Konversationsstück für Musik«, wäre vor jeder Berufung eines Intendanten- oder Spielleiters von den Verantwortlichen abzuprüfen. Auch dem Publikum in all seiner Vielfalt — ob Flagellant, Dauergast oder Kritikus — darf die fortgesetzte Lektüre empfohlen werden. Die Kenntnis um den klugen Aufbau des Stückes, die ihm innewohnenden Anspielungen, seine Ironie und sein Witz: Sie führte wohl bei so mancher Neuproduktion zu anderen Publikumsreaktionen als jenen, von welche wir allenthalben Zeugen werden.

III.
Zweite Erkenntnis: Capriccio (ja, es war eine Caprice des fast achtzigjährigen Strauss — und ein intellektueller Spaß) wird selten mit überfüllten Häusern zu kämpfen haben. Strauss’ Tonsprache ist zu komplex, als daß man ohne vorherige Hörerfahrung daran Gefallen fände. Sie erschließt sich erst bei mehrmaligen Wiederbegegnungen, will gleich Madeleine erobert werden. (Darin gleicht Capriccio ihrem Bruder Falstaff.)

IV.
Dritte Erkenntnis: Um vorbehaltlos zu begeistern, bedarf es des Orchesterleiters Ringen um jede musikalische Phrase. Und des Willens des Orchesters um den Strauss’schen »Silberklang«, welcher auch in dessen Spätwerken immer wieder durchdringt; — und doch so schwer zu erzielen ist.

Bei beidem waren Abstriche zu machen: Unter Michael Boders Leitung gab das Staats­opernorchester (wenngleich gute) Milch, doch keine Sahne. Dadurch geriet manches zu laut, zu lärmend, wurde die gewünschte Präzision stellenweise am Altar des Repertoires geopfert. Der unterschiedliche Charakter der höfischen Tänze — Passepied, Gigue und Gavotte: Er erschloß sich dem Publikum nicht so leicht.

Welch Glück auch, daß Monsieur Taupe (Peter Jelosits), auf die Bühne wechselnd, in Mario Pasquariello eine würdige Vertretung fand. Aber, und dennoch: Die Horn-Soli in den letzten Takten: gelangen vortrefflich. Eine späte Reverenz des Garmischer Meisters an seinen Vater?

V.
Adrian Eröd und Michael Schade warben, wie schon in der Première vor fast einem Jahrzehnt, als Dichter Olivier und Musiker Flamand um die Gunst der jungen Witwe Madeleine. Eröd und Schade kennen einander gut, wissen — nicht nur aus dieser Produktion — um die Spielfreude des anderen. Dieses Zusammenspiel hilft dem Abend. Daß Eröds Bariton mit den Jahren prägnanter wurde, sich nun ein wenig seines Schmelzes begibt, Schade an mancher Stelle beim Register­wechsel Zuflucht in die Lautstärke nimmt, der Ton nicht mehr strömt wie noch vor ein paar Jahren: Man hört es, doch man ist nicht verstimmt  … an diesem Abend. (Angesichts des von Strauss an vielen Stellen intendierten Parlando-Tons.)

VI.
Auch in Angelika Kirchschlagers Stimme hinterließ die Zeit ihre Spuren. Ihre Clairon dekla­mierte mehr (dies übrigens sehr gut, in der Szene mit dem Grafen), als daß die Musik in ihr Recht eintrat. Da verhieß der Name »Kirchschlager« mehr, als im Ende geboten ward.

Daniella Fally und Pavel Kolgatin fiel die Aufgabe zu, die italienische Oper zu repräsentieren. Krauss fand dafür ein Lamento-Addio von Pietro Metastasio, in Musik gesetzt von Antonio Caldera in dessen Oper Adriano in Siria. Leider erfuhr das Duett in Fallys und Kolgatins Dar­bietung eher parodistische Züge, anstatt — wie von Krauss konzipiert — als »durchaus ernstzu­nehmendes, wunderschönes Belcanto-Stück«, als Beispiel für prima la musica zu dienen…

VII.
Wir übersehen gerne den Unterschied zwischen Theaterdirektor und Impresario. Ersterer räumt im Falle fortgesetzten Mißerfolges seinen Sessel (und bezieht bis zum Ende seiner Amtszeit ein Salär), letzterer investiert sein Vermögen in den Glauben an die Bretter, die die Welt bedeuten. Wolfgang Bankl zählt als La Roche unzweifelhaft zu den Letzteren. Dieser La Roche brennt für das Theater. So sehr, daß man ihm die streckenweise rustikal anmutende Stimmgebung nachsieht. Bankl, auch dies eine Kunst, spielt, ohne zu outrieren.

Dennoch: Wie schön wäre es, dieses von Krauss und Strauss so feinsinnig ersonnene, flammende Plädoyer für das Theater wieder einmal mit ruhig geführter Linie zu hören. (Und nein, ich halte den ursprünglich als La Roche angesetzten Lars Woldt nicht für die bessere Wahl.)

VIII.
Der Graf des Markus Eiche: »ein beneidenswertes Naturell, das Flüchtige lockt ihn«. Ein wenig mehr Noblesse — stimmlich wie schauspielerisch — wäre dennoch nicht von Nachteil. Die Ironie, der Sarkasmus seiner Einwürfe sollte ebenso adeliges Decorum wahren wie die vorsichtige Annäherung an Clairon. (Daß diese zuvor mit Olivier liiert war: ein weiterer Spaß aus Krauss’ Feder.)

IX.
Camilla Nylund gab an diesem Abend — als Einspringerin — ihr Wiener Rollen-Debut als Gräfin (Madeleine). Und legte Zeugnis ab davon, daß die Partie der Madeleine andere Anforderungen an die Stimme stellt als eine Arabella (oder Sieglinde): Nicht nur im Schluß­monolog wäre der Stimme eine ruhigere Linienführung abzulisten gewesen. War’s Nervosität? Die Unsicherheit, in einer für die Sängerin neuen Produktion aufzutreten? Ich ertappte mich beim Wunsch nach mehr adeliger Contenance… Doch will ich die Lebenden nicht mit den Toten erschlagen: Wer kurzfristig eine Camilla Nylund aufbieten kann, darf sich glücklich schätzen.

X.
»Gibt es einen [Schluß], der nicht trivial ist?«, läßt Clemens Krauss Madeleine ihr Spiegelbild lächelnd fragen. Die Majestät des Strauss’schen Des-Dur: Es gibt uns schon die rechte Antwort drauf.

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