» Nabucco «: Chor und Extrachor der Wiener Staatsoper © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Nabucco «: Chor und Extrachor der Wiener Staatsoper

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi: » Nabucco «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Günter Krämers Inszenierung bedient das Rampensingen, allen Beteuerungen der Anhänger des » modernen Regisseur-Theaters « zum Trotz. Doch wenn eine Aufführung musikalisch zu überzeugen vermag, sich die szenischen Dummheiten in Zaum halten, kann solch ein Abend gewonnen werden. Kurzum: Es war ein Abend der Sänger. (Nun, einiger.)
Und das kam so …

II.
Nach der Absage Anna Netrebkos fand das Besetzungsbüro der Wiener Staatsoper in Maria José Siri und Saioa Hernández Ersatz. Wer gekommen war, um Netrebko zu hören, ward mit der gebürtigen Spanierin bestens bedient. Denn Hernández eignet, was allen anderen fehlt: eine auf solchem Niveau selten gewordene Gesangstechnik, zumal in unseren Tagen: vorbildlicher Einsatz des Brustregisters; bruchlose Übergänge beim Queren des passaggio, helle, doch (ab dem zweiten Bild) organisch eingebundene Höhen. (Man nennt solches chiaroscuro. Es ist der natürliche Feind des in epidemischer Zahl auftretenden Abdunkelns nachgedrückter, tiefer Töne und auf unseren Bühnen eine vom Aussterben bedrohte Gattung.)

Hernández sang fast durchwegs auf Linie; ein technisches Gustostückerl die saubere Exekution der Phrase incanto mi torna in der Cavatina Anch‘io dischiuso un giorno mit dem bis zum hohen › a ‹ aufsteigenden Lauf, auf einem Atem bis zum abschließenden, unmittelbar über dem passaggio liegenden › g ‹ gesungen. Oder die sichere, gleichmäßige Aktivierung des Brustregisters bei Egro giacevi… Il popolo grida all’Ebreo rubello im Duett AbigailleNabucco im dritten Bild. (Man höre doch, bitte, genau hin.)

Diese musikalische Interpretation der (von vielen doch eigentlich als unsingbar eingestuften) Partie der Abigaille überzeugte vom ersten Ton an. Ein paar offene und daher abgesetzte Spitzentöne im ersten Bild scheinen mir, noch dazu bei einem Haus-Debut, vernachlässigbar. — Perfekt? Nein. Doch Maßstab will mir sein, wenn man um die technischen Schwierigkeiten einer Partie weiß und diese über dem Zuhören vergißt.

III.
Carlos Osuna hatte kurzfristig den Part des Ismaele übernommen, eine zwar kleine, doch nicht unwichtige Rolle: jenen von Fenenas Geliebten. Dafür sind Ensemble-Mitglieder (auch) da: um von einem Tag auf den anderen auszuhelfen und Vorstellungen zu retten. Denn ohne Ismaele keine Nabucco-Vorstellung. Jedenfalls: Osuna bot eine achtbare Leistung. Und, seltsam: In einer Phrase im zweiten Teil blitzte der volle, kräftige Tenor dieses Ismaele auf. Kurz nur; — doch lang genug, um mich nachsinnen zu lassen: Was stünde zu erreichen, klänge diese Stimme immer so?

Entweder liegt die Fenena Szilvia Vörös besonders gut in der Kehle, oder die Sängerin hat fleißig an ihrer Technik gearbeitet: Die gestrige Leistung war Vörös’ beste seit langer Zeit. Diese Fenena erfreute mit klarer Diktion; vollem, doch runden Ton, dunkel in der Tiefe, in nur wenigen Phrasen hellen, ein wenig scharfen Höhen.

Aurora Marthens als Anna und Daniel Jenz als Abdallo stellten sich mit unauffälligem Tun in den Dienst Verdis. Und Dan Paul Dumitrescu war ein mehr als verläßlicher Gran Sacerdote di Belo.

IV.
Ich gestehe: Der Nabucco von Amartuvshin Enkhbat machte mich nicht glücklich. Gewiß, die ersten Phrasen klangen vielversprechend. Doch mit Fortdauer des Abends wurde ich des ewigen mezzoforte, den wenigen Farben, die Enkhbats Stimme bot, überdrüssig. Schwer vorstellbar, daß Verdi für die Partie des Nabucco nicht mehr dynamische Vielfalt gefunden hat. (Ein Blick in die Partitur beruhigt: Er hat.) Enkhbat ließ in seiner Stimme bei (durchaus vollem) Ton einiges Metall hören. (Das ist nun nichts Schlechtes.) Allerdings: Der Gesang des Mongolen klang fast durchgehend guttural, worunter die Textverständlichkeit litt. Doch letzteres ist niemals ein gutes Zeichen, deutet auf stimmtechnische Probleme hin.

V.
Dafür war der Zaccaria bei Roberto Tagliavini in ausgezeichneten Händen. Wortdeutlich, differenziert, oftmals auf Linie gesungen, bestätigte Tagliavini jene Eindrücke, welche mir von seinem Banquo im vergangenen Juni berichtet wurden: Daß damals Tagliavini die Sängerkrone des Abends gebührt hatte.

VI.
Paolo Carignani leitete mit Verve das ebenso und dabei durchaus attraktiv aufspielende Orchester der Wiener Staatsoper; war Verdis Frühwerk ein engagierter Anwalt. Bereits die Ouverture machte Appetit auf mehr.

Dieser Nabucco verging nicht in der Ödnis orchestralen Gesäusels; das nicht. Doch von dem, was man früher Italianità hieß, gab’s in den letzten Jahren ohnehin zu wenig. Dabei wußte Carignani die leiseren Stellen durchaus im Sinne des Mannes aus Busseto zu behandeln: etwa im ruhigen Anch’io dischiuso un giorno der Abigaille oder, vielleicht noch besser zu hören, im Gefangenenchor. Va, pensiero, sull’ali dorate galt wohl vielen als der Höhepunkt des Abends. Doch der Chor und der Extrachor der Wiener Staatsoper ließen vom Beginn an eine sehr gute Leistung hören. (Über den einen oder anderen ein wenig verschleppten Choreinsatz wollen wir den Mantel des Schweigens breiten.)

VII.
Alles in allem war mir dieser Abend ein beredtes Plädoyer für das Wichtigste der von uns so geliebten Kunstform Oper: die Musik.
Mehr solche Abende, bitte.

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