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» Fidelio «, 1. Aufzug: Tomasz Konieczny (Don Pizarro) und Georg Zeppenfeld bei seinem Wiener Rollen-Debut als Rocco
© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Ludwig van Beethoven:
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Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Ist physische Freiheit das Maß aller Dinge? Bedürfen wir nicht auch auch der geistigen Freiheit? Wie ist es um die Freiheit vor sich selbst bestellt? Lohnt es, für Derartiges einzutreten? Selbst, wenn man sich dabei einer Minderheit zugehörig weiß?
II.
An der Wiener Staatsoper spielt man wieder Fidelio. Weil die Zeiten sind, wie sie sind, trägt man nach den erst kürzlich Otto Schenk zum Abschied nachgeworfenen Elogen seine Inszenierung aus dem Jahr 1970 mit dieser Aufführungsserie zu Grabe: drei Abende also noch im Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen und den Kostümen von Leo Bei.
III.
Beethovens Musik ist: Scholle. Man hörte es. Erstaunlich, wie seidig-weich die Streicher des Staatsopernorchesters klingen können. Erstaunlich, wie — vor allem im ersten Akt — die Holzbläser sich in das Ganze einfügten. Nach der Pause: nicht mehr so sehr. Da rumpelte es mehrere Male ganz ordentlich. Selbst in der Leonoren-Ouverture, ohne die in Wien kein Fidelio komplett ist, gab es einige Irritationen. Dennoch: Dieser Übergang vom tiefsten Verließ zur hellen Weite des Tages: der Höhepunkt des Abends.
Über allem präsidierte Axel Kober. Manchmal, wenn wieder einmal Einsätze des Staatsopernchors oder der Solisten in den Ensembles wackelten oder eigentümliche, so nicht notierte instrumentale Verschiebungen aus dem Graben drangen, mehr gestischer Begleiter des Abends als Gestalter. Ich kann ihn nicht freisprechen von nicht eingelöster Verantwortung; — mag man ihm andernorts auch huldigen.
IV.
Ethos des Kritikers: Er sei vor allem ein Wahrheitssager. (Man wird mir das wieder als Hybris auslegen. Sei’s drum.) Die Wahrheit ist: An jenem Abend klangen sowohl die Leonore der Simone Schneider als auch die Marzelline der Florina Ilie nach wenig mehr als Totalausfällen. Beiden gebrach es am notwendigen Volumen, um über dem (im übrigen nicht lärmenden) Orchester hörbar zu bleiben. Beiden Stimmen mangelte es an der notwendigen Größe. Kaum einmal stellte sich eine Gesangslinie ein, und wenn, hielt der notwendige Stimmdruck nur über wenige Takte. In solchen Momenten versagt die beste Regie: Wenn man, wie Florina Ilie, einzig damit beschäftigt ist, stimmlich über die Runden zu kommen, bleibt kein Platz für gesangliche oder schauspielerisch überzeugende Gestaltung. Kaum zu glauben, daß einst eine Lucia Popp als Marzelline erfreute …
Ich halte Simone Schneider für einen ehemals lyrischen Sopran, dessen Wildern in fachfremden Revieren sich nicht mehr schließende stimmliche Wunden hinterließ. Immer wieder versank die Stimme dieser Leonore in der Unhörbarkeit. Was man dennoch vernahm, blieb über weite Strecken wortundeutlich. (In solchem Fall hilft nur die eigene Textkenntnis, will man nicht statt zum Hören und Sehen zum Lesen in die Oper gehen. Oder für den Pausensekt.) — Ja, die Partie der Leonore ist schwer zu singen. Sie erfordert sie neben sehr guter Gesangstechnik und dem Spielopernton des Beginns vokales Durchsetzungsvermögen für die große Szene und den zweiten Aufzug. Und abermals ja, auch früher fochten Soprane mit dieser Partie ihre Sträuße aus; nicht alle erfolgreich. Doch ohne stimmliches Fundament, wie es nun fast zwei Sängergenerationen abtrainiert wurde, ist es unmöglich, dieser Partie gerecht zu werden.
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© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
V.
Peter Kellner zählte bei seinem Rollen-Debut zu den schwächeren Don Fernandos, die ich hören mußte. Auch ihm fehlte es am vokalen Durchsetzungsvermögen. Mozart: eher — Beethoven: eher nicht. Daniel Jenz mühte sich über die Maßen mit der Partie des Jaquino, auch wenn er seine Marzelline im Eröffnungsduett problemlos an den Bühnenrand sang.
Georg Zeppenfeld durfte, man glaubt es kaum, bei seinem Wiener Rollen-Debut als Rocco endlich einmal in einer Inszenierung mitwirken, in welcher er keinen Anzug, sondern ein richtiges Kostüm tragen durfte. An besagtem Abend bestach Zeppenfeld jedoch so sehr durch noble vokale Zurückhaltung, daß auch seine gesangstechnische Meisterschaft nicht als Ersatz für den Mangel an Ausdruck gelten konnte. Selbst die » Gold «-Arie litt darunter, klang seltsam anämisch.
Ganz anders war es um den Don Pizarro des Tomasz Konieczny bestellt: Seine deutsche Diktion in den Dialogen war überraschend gut und akzentarm, seine Bühnenpräsenz bestechend. Im Gesang wird er die Vokalverfärbungen des Polnischen wohl nicht mehr ablegen. Überraschender Weise blieb er trotzdem gut verständlich. Ha! Welch ein Augenblick!
gelang mitreißend und überzeugend. Derzeit beherrschen ja die Rabauken die Bühnen dieser Welt: Warum sollte da die Oper eine Ausnahme bilden?
Ich halte Michael Spyres vom Stimmfach her für einen Bariton. Zugegeben, für einen Bariton mit gut ausgebildeter Höhe; — doch ohne jenes Aufblühen in der Stimme, jenen strahlenden, hellen Ton, wie er — um nicht die entferntere Vergangenheit zu bemühen — einem Johan Botha zu Gebote stand.
Allerdings: Wollen wir einen Bariton in der Partie des Florestan hören? Spyres’ Stimme verlor bei seinem Wiener Rollen-Debut nie ihren baritonalen Klang. Die Spitzentöne (z.B. im Allegro-Teil der Arie) wurden nur behutsam und wie beiläufig angetippt. Da blühte keine Hoffnung im F-Dur. Wer Tomasz Konieczny dessen Vokalverfärbungen vorwirft, müßte Spyres die seinen und die fortgesetzte Wortundeutlichkeit vorhalten. Die Stimme des U.S.-Amerikaners verfügt über die erforderliche Größe für das Haus am Ring, doch mehr noch als in der Ariadne auf Naxos vermißte ich die durchgehende Gesangslinie.
VI.
In Otto Schenks Inszenierung darf Fidelio noch dreimal Fidelio bleiben.
Doch bietet sie genügend, worüber nachzudenken lohnte.