Kulturpolitik

Von Thomas Prochazka

Dramolett in einem Aufzug.

Ein Alt-Wiener Kaffeehaus, in welchem bereits Peter Altenberg und Sigmund Freud verkehrten. Spä­ter Nachmittag. Ein sehr wichtiger Kulturkritiker und ein typischer Vertreter eines Medien­hau­ses sitzen an einem abseits gelegenen Fenstertisch.

Vertreter des Medienhauses (schmeichelnd):
Ich finde es schön, daß wir einander end­lich persönlich kennenlernen. Ich bin ein großer Fan Ihrer Kritiken und Kolumnen. Und Ihrer Fernsehsendung, selbstverständlich. »kulTOUR« sehe ich mir immer an!
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Die ist aber mit dem Holender, nicht mit mir. — Aber ja, der Rudi Scholz, der ehemalige Stadt­schul­rats­prä­si­dent, kam einmal zu mir her und gratulierte mir zu meiner Prägnanz. Und wie ich es schaffe, die Dinge immer so auf den Punkt zu bringen...
Vertreter des Medienhauses:
Ja, natürlich... Also, wir könnten uns vorstellen, daß Sie bei uns eine Theater- und Musiksendung machen. Die wollen wir auch im Internet strea­men, damit ganz Österreich die Möglichkeit erhält, sich auf erstklassigem Niveau über Thea­ter, Oper und Konzert in unserem Land zu informieren. Österreich ist uns wichtig, wis­sen Sie.
Sehr wichtiger Kulturkritiker (listig):
Ja? Sie wissen ja, ich schreibe auch einmal in der Woche eine Kolumne, und dann rezensiere ich hin und wieder… Meine Zeit ist also begrenzt.
Vertreter des Medienhauses (eilig):
Freilich, freilich! Aber sehen Sie, wir wollen Sie als Brückenbauer zwischen den Welten: die Klassikbegeisterten auf der einen Seite, die erst für die Klassik zu Begeisternden auf der anderen… — Was denken Sie, warum wir vor jeder Opern- und Ballett-Première eine Doppelseite ins Blatt rücken?
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Der schönen, großformatigen Fotos wegen…?
Vertreter des Medienhauses (lachend):
Sie haben uns durchschaut! Genau deshalb sind Sie der richtige Mann für uns! So wie der … der … — na, der Ex-Burgtheaterdirektor, der jetzt beim Sender vom Mateschitz einen auf Berater macht, der … na, wie hieß er doch gleich…?
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Matthias Hartmann?
Vertreter des Medienhauses:
Ja, genau, den hab’ ich g’meint!
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Da hoffe ich doch, ich bin besser. (Leutselig.) Im­mer­hin habe ich schon den einen oder anderen kulturpolitischen Treffer gelandet in die­sem Land…
Vertreter des Medienhauses (zustimmend):
Aber sicher, aber sicher…
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Das war vielleicht ein Skandal damals! Ich habe mich ja oft mit dem Matthias unterhalten… Können Sie sich das vorstellen? Die hat das ganz allein gemacht. Keiner hat etwas gewußt. Sogar der Wirtschaftsausschuß hat nicht über­ris­sen, was da passiert ist, auch der Springer nicht. Und der ist ja jetzt wirklich kein Trottel…
Vertreter des Medienhauses (nickt zustimmend):
Nein, das kann man beim besten Wil­len nicht behaupten. Sonst wäre er ja nicht in Pension gegangen…
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Aber die Bergmann hat das ganz gut hingekriegt, fin­de ich. Dieser »Besuch der alten Dame«: Hervorragend, habe ich mir sagen lassen!
Vertreter des Medienhauses:
Sehen Sie, sehen Sie… Sie kennen alle! Genau so jemand su­chen wir! Jemand, der seinen Finger auf den Puls des kulturellen Geschehens legt. Der die Nachrichten erst macht! Salz­burg! Die Wie­ner Staatsoper…!
Sehr wichtiger Kulturkritiker (wirft sich in die Brust):
Markus Hinterhäuser zählt zu den interessantesten Intendanten weltweit. Wahrscheinlich ist er der Beste. Unter Hinter­häuser passiert in Salzburg endlich wieder spannendes Musiktheater. Außerordentliches. Der Markus spricht ja sein Programm immer mit mir durch, bevor er es veröffentlicht.
Vertreter des Medienhauses (eilig):
Natürlich, natürlich…
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Wissen Sie, als Kulturjournalist soll man man das kul­turelle Le­ben dieses Landes maßgeblich mitbestimmen. Da muß der Journalismus schon einmal Pause machen. Wie zum Beispiel Sellars und Currentzis für Mozart zu­sam­men­zu­brin­gen… Schon der »Titus« zählte zum Aufregendsten, das man in der langen In­ter­pre­ta­tions­ge­schich­te dieser Oper erleben konnte!
Vertreter des Medienhauses (zweifelnd):
Ja, aber die eingelegten Piècen…?
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Die was?
Vertreter des Medienhauses:
Die zusätzlichen Stücke. Ich mein’, was sucht die c-moll-Messe in »La clemenza di Tito«?
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Was…? — Ach, hören Sie mir doch auf damit! Dieser Werkstattcharakter der Salzburger Festspiele, dieser Drang von Markus, Neues aus­zu­pro­bie­ren, diese ungewohnten Klänge — großes Salzburger Welttheater! Endlich nicht immer die­ses Mozartgeleier eines Muti oder Bolton! — Und heuer machen Currentzis und Sellars »Idomeneo«, wie ihn Mozart noch nicht erlebt hat! Diese Holz­ham­mer-Re­zi­ta­ti­ve will ohnehin keiner hö­ren, die kann man ruhig weglassen. Toll, was der Markus da zu­we­ge­ge­bracht hat. Und alle Vorstellungen sind ausverkauft!
Vertreter des Medienhauses:
Vielleicht. Aber für fast alle anderen Vorstellungen gibt es Karten. Selbst für Anna Netrebko in »Adriana Lecouvreur«. Beim Meyer in Wien waren diese Vor­stel­lun­gen ausverkauft.
Sehr wichtiger Kulturkritiker (leichthin):
Ja, der Meyer… Mit dem bin ich nie richtig warm geworden. Der war mir immer zu … zu diplomatisch. Der war nie gut für einen Sager. Langweilig… — Aber jetzt kommt ohnehin bald Bogdan Roščić. Mit dem bin ich ja auch sehr gut befreundet…
Vertreter des Medienhauses:
Interessant. Mit hat er gesagt, er kennt Sie zwar, aber be­freun­det seien Sie nicht.
Sehr wichtiger Kulturkritiker (irritiert):
Was? Ich war es, der seinerzeit ein großes In­ter­view mit ihm geführt hat. Ich wußte schon eine Woche vor ihm, daß er Staats­opern­di­rek­tor werden wird. Petrenko und Ticciati werden kommen! Und Welser-Möst, des­sen Rückkehr an die Staatsoper ja lange überfällig ist, wird wieder neue Pro­duk­tio­nen am Haus dirigieren. Wichtig ist, daß es endlich auch in Wien modernes Musiktheater geben wird. Diese naturalistischen McVicar-Inszenierungen: — ich bitte Sie!
Vertreter des Medienhauses:
Sie meinen, der Castorfsche »Faust« aus Stuttgart ist besser als die Sivadier-Inszenierung der »La traviata« aus Aix-en-Provence?
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Selbstverständlich! Man hat ja nicht immer so her­vor­ra­gen­de Singschauspielerinnen für die Titelpartie wie seinerzeit bei der Première zur Ver­fü­gung! Außerdem muß man die Jugend wieder in die Oper locken — viel mehr als bisher! Aber das funktioniert nur mit spannenden Interpretationen, die uns heute noch etwas mit­zu­tei­len haben. Das habe ich auch dem Bogdan so lange vorgesagt, bis er geglaubt hat, es ist von ihm. Guth, Castorf, Neuenfels, Stone, Tscherniakow: Das ist die Zukunft! Nicht diese ihre exem­pla­ri­sche Provinzialität offenbarenden Arbeiten…!
Vertreter des Medienhauses (wird blaß):
Aber … haben Sie nicht selbst einmal ge­schrie­ben, Sie kennen kaum jemanden, der wegen der Regie in die Oper geht? Und nur eine zu­se­hends weltfremde Feuilleton-und Dramaturgenblase habe kein anderes Thema mehr…?
Sehr wichtiger Kulturkritiker:
Mein Gott! So ernst dürfen ’S das nicht nehmen! Mit irgendetwas muß man ja schließlich die wöchentliche Kolumne füllen. Und wie sonst soll ich meine Leute in die richtigen Positionen schreiben? (Unterbricht sich.) Was ist: Kom­men wir jetzt ins Geschäft oder nicht?

(Vorhang.)

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