» Manon «, 2. Akt: Charles Castronovo (Chevalier Des Grieux) und Pretty Yende (Manon) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Manon «, 2. Akt: Charles Castronovo (Chevalier Des Grieux) und Pretty Yende (Manon)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Jules Massenet: » Manon «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Man spielt wieder Manon. Das heißt, man spielt, was sich das Team um Andrei Serban 2008 dazu einfallen ließ. Erbringt den Nachweis des Einzugs des » Regisseurs-Theaters « auch in Wien schon lange vor dessen offensichtlicher Förderung durch die aktuelle Direktion.

II.
Serbans Geschichte hat nur mehr wenig mit dem von Henri Meilhac und Philippe Gille geschaffenen Libretto nach Abbé Prévosts L’historie du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut zu tun, reduziert man die Handlung nicht auf: Mann aus gutem Haus verliebt sich in putzsüchtiges und kokettes Mädchen vom Land und sieht sie nach Höhen und Tiefen auf der Landstraße nach Hâvre zugrundegehen. Es sind (nicht nur) Details, die verstören: der Bahnhof von Amiens, der doch nach dem Willen der Schöpfer ein Poststation sein sollte, mit komponiertem Schellengeläut. — La plus jeune portait un collier de grains d’or ! ([Und] die Jüngste, sie trug ein goldn’es Halsband), läßt uns Manon wissen. Bei Serban hat sie das Collier längst von Poussettes Hals gestohlen. — Der Cours de la Reine, zu Abbé Prévosts Zeiten ein von Maria de Medici am Ufer der Seine, westlich der Place de la Concorde und der Tuileries angelegter Garten, diente Ausritten, der Zusammenführung adligen Nachwuchses und höfischen Festen. Falsch daher die Verlegung des ersten Bildes des dritten Aktes in ein (billiges) Animierlokal, wie es sich Peter Pabst und Andrei Serban imaginierten. (Selbstverständlich war das auf den Zwischenvorhang projizierte Moulin Rouge niemals ein billiges Etablissement. Für Spelunken mußte man schon den Montmartre besteigen.) — Das Hôtel de Transylvanie ist den Schöpfern des Werkes zufolge ein Kasino, in welchem sich tout Paris traf. Doch keine in einem Kellergeschoß untergebrachte, drittklassige Spielhölle. Der Spielvogt opferte die Notwendigkeit von Manons großem Aufstieg und tiefen Fall seinen Launen. In Wahrheit erzählt Andrei Serban zu Massenets Musik eine andere Geschichte.

Daran ändert auch die (lobenswerte) Tatsache nichts, daß der Abend szenisch geprobt wirkt, die Bewegungen des Chors und der Statisterie akkurat zur Musik passen. Daß auch herausfordernde Szenenwechsel fehlerfrei bewerkstelligt werden; — etwa, wenn im 1. Akt die Bank und die Werbetafel im Tumult der Reisenden ohne Zwischenfall vom Schnürboden abgesenkt werden.

Einmal mehr triumphiert die Szene über die Musik.

III.
Bertrand de Billy leitet das Staatsopernorchester in einer der expressiven, oft grellen Seite zuneigenden Interpretation, nimmt man so manchen Holzbläsereinwurf zum Maßstab. Die wie aquarelliert hingetupften Momente der Partitur treten an diesem Abend kaum in ihr Recht. Doch de Billy gelingt es, alles zusammenzuhalten. Er ist den Sängern ein aufmerksamer Begleiter, auch wenn er sie lautstärkemäßig durchaus fordert. Damit gelingt, die Leistung des Staatsopernchores mit eingerechnet, eine tadellose instrumentale Wiedergabe der Partitur. Die Glanzlichter fehlen allerdings, denn dazu hätte es des entsprechenden sängerischen Personals bedurft.

IV.
Michael Arivony zum Beispiel ist der Lescaut um mindestens eine Nummer zu groß. Und daran, so steht zu befürchten, wird sich auch nichts ändern. Seiner Stimme mangelt es an den gesangstechnischen Voraussetzungen, um den Lescaut zu einer eigenständigen Persönlichkeit werden zu lassen. Namentlich fehlt es an der Fähigkeit zur Phrasierung, dafür klang einiges nasal (wie es, auch im französischen Fach, niemals klingen darf). Ich vermißte die Gestaltung der Partie aus dem Gesang, wie sie vor Jahren von Adrian Eröd vorbildlich zu hören war. Bei Arivony klang kaum ein Beitrag musikalisch geformt. Sowohl im Duett mit Manon im ersten als auch im zweiten Akt wurden (zu)viele Chancen verpaßt, musikalisch gute Figur zu machen.

V.
Kaum besser erging es Charles Castronovo als Chevalier Des Grieux. Sein Tenor ist von ausreichender Größe, doch sang auch er zumeist Töne, keine Phrasen. Es mangelte an der Bindung, an der Verbindung der einzelnen Worte, am konstanten Stimmdruck (ohne welchen legato nicht möglich ist). Vieles klang aus dem Hals gesungen, ohne Verankerung im Körper, war im und über dem passaggio nur mit großer Mühe (und durchwegs nicht immer zufriedenstellend) zu stabilisieren. Je suis seul… Ah ! fuyez, douce image schien nur aus Rezitativ zu bestehen, auf dynamische Abstufungen hoffte man vergebens. Die Spitzentöne wurden forte und » ausgestellt « serviert, als wären sie Trophäen siegreichen Ringens mit der Stimme. Kaum einer erklang eingebunden in die jeweilige Phrase. Nur so, wollte mir scheinen, trachtete dieser Des Grieux über die Runden zu kommen. (Wer wissen will, wie ein Chevalier Des Grieux klingen soll, bemühe die » Alten « wie Joseph Rogatchewsky oder Georges Thill.)

VI.
Von allen Partien, in welchen ich Pretty Yende bisher hörte, liegt ihr jene der Manon am besten. Dennoch waren auch diesmal gesangstechnische Unzulänglichkeiten nicht zu überhören, sodaß von mehr als einer akzeptablen Bewältigung der Partie nicht die Rede sein kann. Gewiß, die Spitzentöne gelangen — wie schon in den I puritani — sicher, doch zu oft brach die Gesangslinie. Legato? Dynamische Akzentuierungen der einzelnen Phrasen? — Fehlanzeige.

Zu unruhig geriet Yendes stimmliche Interpretation, als daß die Sängerin den grundlegenden gesanglichen Anforderungen dieser Partie genügen konnte. Zwar verfügt Yende über Zugriff auf die untere Stimmfamilie, doch vermochte sie nicht, diese auch jenseits des passaggio zu aktivieren. Im Bereich direkt über dem passaggio fehlte es durchwegs am erforderlichen Stimmvolumen. Wie ihr Des Grieux » stemmte « diese Manon ihre Spitzentöne, mußte sie, um die Stabilität des Tones fürchtend, forte oder lauter singen.

VII.
In dieser vokalen Qualität kann Massenets Oper niemals die ihr innewohnende Wirkung entfalten. Man mag noch so sehr die Beschäftigung mit der Vergangenheit ablehnen: Jede kritische Einordnung einer Gesangsleistung ist nur in Kenntnis früherer Sängergenerationen möglich. Für Massenets Manon bedeutet dies Wissen um die Wirkung z.B. einer Fanny Heldy (der Manon der ersten jemals produzierten Gesamteinspielung), einer Germaine Féraldy oder einer Ninon Vallin; — in gesangstechnischer Hinsicht ebenso wie in interpretatorischer.

Ich fürchte, das Ergebnis wird nicht nur für viele ein ernüchterndes sein, sondern meine Einschätzung des Abends bestätigen.

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