» I puritani «, 3. Teil: Roberto Tagliavini (Sir Giorgio) und Pretty Yende (Elvira) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» I puritani «, 3. Teil: Roberto Tagliavini (Sir Giorgio) und Pretty Yende (Elvira)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Vincenzo Bellini:
» I puritani «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Wenn man — vorgreifend — rasch den Eindruck zusammenfassen soll: Dirigentisches Mittelmaß trifft auf Orchesterdienst in einer gesanglich großteils enttäuschend dargebotenenen Regisseurstheater-Produktion aus dem Jahr 1994.
(So waren, in etwa, die Begebenheiten.)

II.
Wie wenig ändern sich doch die Zeiten: Schon John Dew wußte kaum etwas mit dem Chor zu beginnen. Kleidete Männlein wie Weiblein in die Geschlechter nicht unterscheidbares Historisierendes. Ließ in Gesangsformation geordnet auf- und abtreten, ohne große Bewegungen: die Soprane links, die Bässe rechts — oder umgekehrt. (So leicht war das auf Heinz Balthes’s wenig ausgeleuchteter Bühne und in den Kostümen von José Manuel Vazquez nicht auszumachen.) Rampensingen, wie nun im Faust (oder in der Carmen).

Die Herren umkreisten einander, vor allem, wenn sie ihre Degen gezückt hatten. Sonst bewegte man sich von links nach rechts (oder umgekehrt), klopfte sich gegenseitig auf die Schulter, rang die Hände oder reichte sich dieselben, während man sich der Treue versicherte oder der Rache oder was Carlo Pepoli gerade eben für Bellinis Musik als Text eingefallen war. Einzig Elvira durfte im Finale des ersten Teiles, gestützt von zwei Kollegen, auf den mittleren der drei das gesamte Bühnenmobiliar bildenden Stühle steigen (der Symmetrie wegen) und ihre Schlußtöne aus erhöhter Position singen. Aber da war sie dem Wahnsinn schon verfallen.

III.
Francesco Lanzillotta stand am Pult des Staatsopernorchesters. Bereits während des Eröffnungschors ahnte mancher, daß es mit dem Haus-Debut an der Wiener Staatsoper so eilig nicht gewesen wäre. Nicht nur die Horngruppe hatte sich hörbar zu einem » bunten Abend « versammelt. Die Aufführung bezog den Großteil ihrer Spannung aus der Erwartung der nächsten musikalischen Überraschung; — an welchen diesmal kein Mangel herrschte: Zu den gesanglichen Unzulänglichkeiten sonder zahl gesellten sich merkwürdige Motivaktzentuierungen bei sich meist gemächlich änderndem Lautstärkepegel. Nicht immer erzielten Bühne und Graben Einigung über den richtigen Zeitpunkt des nächsten Einsatzes oder das zu wählende Tempo. Doch was bleibt, all dieser Verantwortung entbunden, mehr als die gestische Begleitung des Abends?

IV.
I puritani sind Bellinis opus summum: reich an melodischen Einfällen ebenso wie an Neuartigem: beispielsweise der durch die Einwürfe des Sir Bruno Robertson (dankenswerterweise dabei: Carlos Osuna) unterbrochenen cabaletta wie jene des Sir Riccardo Forth. Doch Adam Plachetka blieb — bis auf das verläßlich Eindruck machende Duett mit Sir Giorgio — vieles schuldig: Mit unstet klingender, breit geführter Stimme polterte sich Plachetka durch den Abend. Kaum eine Phrase gelang, kaum ein Ton wurde ohne übergroßes, langsames Vibrato gehalten.

Ilja Kazakov lieferte als Lord Gualtiero Valton verläßlich seine Stichworte; aufmerksam lauschte man seinem Gesang nicht. Ähnliches galt für die Enrichetta di Francia der Margaret Plummer, welche sich jedoch ihre darstellerische Würde zu bewahren wußte.

V.
Wieder einmal beeindruckte Roberto Tagliavini stimmlich am meisten; diesmal als Sir Giorgio. Mit gut geführter Stimme und (je nach Geschmack ein wenig breitem) legato ließ er als einziger hören, was Bellini bei der Komposition vorgeschwebt sein mochte. Seine von Einwürfen des Chores durchsetzte Szene Cinta di fiori e col bel crin disciolto: der Höhepunkt des Abends. Hin und wieder auftretenden Vokalverfärbungen oder » Nachdrücken « bei einigen, wenigen tiefen Tönen (auch Bässe haben ihre money notes) erscheinen vernachläßigbar im Vergleich zu den offenherzig ausgebreiteten, gesanglichen Unzulänglichkeiten seiner Kollegen.

VI.
John Osborn beispielsweise mühte sich hörbar mit der Partie des Lord Arturo Talbot. Konnte man die Spitzentöne in A te, o cara noch als » geglückt « bezeichnen, täuschten sie nicht über die gesangstechnischen Mängel hinweg. Osborns Stimme klang zu oft hell, eng und ohne das erforderliche Volumen, als bestritt er den ganzen Abend hindurch mit hohem Kehlkopf. Mehrmals suchte dieser Arturo sein Heil im Falsett; — und da war’s noch lange hin bis zum uns heute unsingbar scheinenden, von Bellini allerdings notierten hohen › f ‹ im dritten Teil.

Stellt sich die Frage, wie die Partie des Arturo heute zu singen wäre (da der Duprez-Moment ja doch nicht mehr rückgängig zu machen ist). Soll ein Tenor, der sich an den Arturo wagt, wie zu Bellinis Zeiten üblich, ab dem hohen › a ‹ die Kopfstimme einsetzen, um diese Phrase wirkungsvoll zu singen?

VII.
Ich will nicht um den heißen Brei herumreden: Pretty Yende gebrach es für eine gediegene vokale Gestaltung der Elvira am gesangstechnischen Rüstzeug.

Im Detail: Yende ließ eine Reihe glänzender, sicher gesetzter Spitzentöne hören — sobald sie diese mezzoforte oder lauter und mit entsprechendem » Anlauf « aus der Mittellage kommend ansteuern konnte. Leider besteht die Partie der Elvira im wenigsten aus solchen Momenten.

Wenn jedoch im pianissimo oder piano in der Mittellage einzusetzen war (wie beispielsweise bei O rendetemi la speme), wurde Yendes Stimme » luftig ; brach die Gesangslinie. Ist von unzähligen Intonationstrübungen zu berichten. (Diese macht auch neckisches Herumgehopse in großer Robe nicht wett.) Oft flüchtete sich diese Elvira in portamenti, um halbwegs sicher von einem Ton zum nächsten zu gelangen. Manche Koloratur (denn nicht alle wurden von Bellini a piacere notiert) wäre am besten mit » ungefähr « umschrieben.

Den Tiefpunkt von Yendes Tun bildete wahrscheinlich Oh vieni al tempio, das Finale des ersten Teiles. Da gab es zu viele falsche Töne (anstelle von sauber gesungenen Phrasen), als daß selbst die einfallsreichste Presseabteilung dies noch mit einem vergleichenden Superlativ zu beschönigen wüßte. (Wie solches zu singen wäre — ohne auf die großen » Alten « zu verweisen —, ließe sich beispielsweise an Bernarda Bobros Tun studieren. Das technische Können der gebürtigen Slowenin ist jenem der als Welt-Star gehandelten Yende jedenfalls um Klassen überlegen.)

VIII.
Dieser Abend: eine Art Offenbarungseid einer an der musikalischen Seite von Opernaufführungen offenbar desinteressierten (oder unkundigen?) Leitung.

62 ms