» Il turco in Italia «, 1. Akt: Des Türken Selim Ankunft in Neapel, wo er unter anderem von Fiorilla und ihren Freundinnen erwartet wird © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Il turco in Italia «, 1. Akt: Des Türken Selim Ankunft in Neapel, wo er unter anderem von Fiorilla und ihren Freundinnen erwartet wird

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Gioachino Rossini:
» Il turco in Italia «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Il turco in Italia: mit drei szenischen Aufführungen das Zentralgestirn des Gastspiels der Opéra de Monte-Carlo. Es hätte ein großer Abend werden sollen. Es wurde ein sich selten über gutes Mittelmaß hebender; musikalisch wie szenisch. Doch vergnüglich und mit ein paar hübschen Momenten.

II.
Rossinis mailändischer buffa-Erstling war zuletzt 2009 im Theater an der Wien zu hören gewesen; als Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper. Christof Loy ward als Spielleiter genannt, Fabio Luisi hatte die musikalische Seite verantwortet. Damals: der Besuch verlangte nach einer Wiederholung. Diesmal: nicht.

Il turco in Italia, binnen vier Monaten entstanden, zählt zu Rossinis am wenigsten komponierten Opern. Nicht nur die Secco-Rezitative stammen aus unbekannter Feder, sondern auch drei geschlossene Nummern: Geronios Arie Vado in traccia d'una Zingara gleich zu Beginn des Abends, Albazars Ah! Sarebbe troppo dolce im zweiten Akt sowie das Finale. Routiniertes Handwerk mit rossinischen Wendungen, doch ohne das gewisse Etwas.

III.
Jean-Louis Grinda hatte die szenische Einrichtung besorgt, Rudy Sabounghi die hübschen Dekorationen ersonnen, mit brennenden Kerzen auf der vorgebauten Bühne, solcherart den Weg zum Flanieren kennzeichnend. Und Laurent Castaingt sorgte dafür, daß wir im Theater auch etwas sehen. Die Firma (?) Gabriel Grinda & Julien Soulier schuf die Videos.

Grinda, Jean-Louis, verlegte die Geschichte um einen in Neapel gelandeten Türken, der sich in eine mit älterem Ehemann und aus dem Ancien Régime übriggebliebenen Verehrer ausgestattete Italienierin verliebt, in das beginnende 20. Jahrhundert. Wir erleben einen Abend auf dem Theater, mit dem Poeten Prosdocimo als Spielmacher. In Felice Romanis Libretto kommentiert diese Figur, auf der Suche nach einem Stoff für eine opera buffa, die Ereignisse.

Doch schon bald scheint Grinda (Jean-Louis) die Idee des Poeten als Regisseur verloren zu geben, das seitlich plazierte Schreibpult verschwindet. Die Figur wandelt sich, belauscht, wem sie zuvor noch Anweisungen gab. » Regisseurstheater « also auch hier, wiewohl gemildert durch die Hübschheit der Szene und die prächtigen Kostüme von Jorge Jara. Wir arrangieren uns, weil, was gesungen wird, für uns immer noch Sinn ergibt. Weil das singende Personal mit Freude spielt. Und weil die Musik, wo von Rossini, nicht mit überraschenden Wendungen und dem Ohr schmeichelnden Melodien geizt.

IV.
Im verkleinerten und tiefer gelegten Graben werkten wieder Les Musiciens du Prince – Monaco unter Gianluca Capuano. Während der Ouverture — diesmal keine Leihgabe — läuft ein durchaus witziger Stummfilm, sodaß die zahlreichen Gickser und so mancher Ausfall der Originalklanginstrumente (vor allem bei den Hörnern und Trompeten) nicht so stark ins Gewicht fallen. Unüberhörbar, ärgerlich bleiben sie trotzdem. — Sehr ordentlich wiederum der Chœur de l'Opéra de Monte-Carlo, diesmal mit Beteiligung der Damen.

Auch an diesem Abend begünstigt die tiefere Stimmung Barry Banks’ Don Narciso und Cecilia Bartolis Fiorilla, während sie Josè Maria Lo Monacos Zaida und den Selim von Ildebrando d’Arcangelo — vor allem in der Auftrittsszene — vor stimmliche Probleme stellt. Capuano nimmt die schnellen Tempi rascher als ältere Kollegen. Das hilft der Wahrung der musikalischen Struktur, täuscht jedoch nicht über einen trockenen, selten gebundenen Orchesterklang hinweg. Luca Quintavalle am Hammerklavier zaubert mit zumeist aus Mozarts Œuvre entlehnten Einsprengseln immer wieder ein Lächeln auf die Gesichter wissender Zuhörer.

» Il turco in Italia «, 1. Akt: Fiorilla (Cecilia Bartoli) und Selim (Ildebrando d'Arcangelo) beim ersten Zusammensein in Geronios Haus © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Il turco in Italia «, 1. Akt: Fiorilla (Cecilia Bartoli) und Selim (Ildebrando d'Arcangelo) beim ersten Zusammensein in Geronios Haus

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Den besten Eindruck im ersten Akt hinterließ mir der Prosdocimo des Giovanni Romeo. Seine Stimme scheint nicht so kräftig, doch agil. Romeo weiß Linien ebenso zu singen wie die zahlreichen parlando-Einwürfe in den Ensembles. Ihm zur Seite der Albazar des David Astorga, dessen aria di sorbetto den Kollegen die notwendige Zeit für den Kostümwechsel vor dem Maskenfest verschafft. Josè Maria Lo Monaco bleibt als Zaida stimmlich weitgehend glücklos: In der Höhe will sich selten ein voller Ton einstellen, in der unteren Lage muß sie der tieferen Stimmung Tribut zollen.

Barry Banks singt und spielt den Don Narciso mit Selbstironie, doch mit der Tragik des letzten Endes ausgenützten Galans. Sein Tenor ist nicht groß, doch einheitlich entwickelt und überzeugt nicht zuletzt durch eine kompakte Höhe und, in seiner Arie, durch Geläufigkeit.

Ildebrando d’Arcangelo sang den Selim bereits 2009 im Theater an der Wien. Nun kehrt er, einspringend, wieder. Gemeinsam mit dem Geronio des Nicola Alaimo beherrscht er das Bühnengeschehen. Das Duett D’un bell’uso di Turchia gerät zum komödiantischen Höhepunkt des Abends, ohne darüber die musikalische Qualität zu vergessen. D’Arcangelo weiß sich in Szene zu setzen. Wo die Stimme rauh klingt oder sich die melodische Linie nicht wie gewünscht einstellen will, offeriert er Spielfreude.

Die kommt auch bei Nicola Alaimo nicht zu kurz, auch wenn sein Geronio die in ihn gesetzten Erwartungen (nach seiner sehr guten Leistung als Dandini ein paar Tage zuvor) nicht von Anfang an erfüllt. Alaimo singt sauber, sein Baß trägt, die Stimme spricht auch im parlando an. Es macht Spaß, diesem Sänger bei der Arbeit zuzuhören.

VI.
Cecilia Bartoli überraschte als Fiorilla mit stimmlicher und szenischer Zurückhaltung; — nicht sie war das Zentrum des Abends, sondern das Trio Fiorilla, Geronio und Selim. Merkwürdig: Es dauerte bis nach ihrer ersten Arie, ehe Bartoli zu jener Form auflief, derentwegen das Publikum so zahlreich herbeigeströmt war. Mancher Spitzenton klang offen (nicht: hell), ein wenig heiser, einige Koloraturen wurden wiederum mit kleinen Bewegungen des Kopfes unterstützt. Bartoli scheint sich am wohlsten zu fühlen, wenn ihre Stimme in der oberen Mittellage ihre Trümpfe ausspielt; sie ihre Anhänger mit Läufen und arpéggi zu begeistern weiß. In diesen Momenten wird das Phänomen Bartoli vielen Wirklichkeit.

(Und, nicht zu vergessen: der Kassenreport …!)

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