»Tosca«, 1. Akt: Das Te Deum in Sant’Andrea Della Valle © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Tosca«, 1. Akt: Das Te Deum in Sant’Andrea Della Valle

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giacomo Puccini: »Tosca«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Tosca ohne Tosca.
(So waren die Begebenheiten.)

II.
Der Baron Scarpia des Bryn Terfel war mehr Wüstling denn überlegter Taktiker. Oder adeliger Polizei-Chef. Zumindest, als er Tosca auf die chaise longue drängte und über sie stieg, als wollte er sie im nächsten Moment nehmen.

Zuvor verschaffte sich dieser Scarpia primär dank seiner Statur denn seiner Stimme Gehör in Sant’Andrea della Valle. Und daran sollte sich den Abend über auch nichts ändern. Terfels Stimme klang angestrengt, unfrei. Er mühte sich, im »Te deum« die Oberhand zu behalten.

Und dies, obwohl Marco Armiliato mit dem Staatsopernorchester wahrlich nicht zu laut war. Im Gegenteil: Wieder einmal agierten Orchester und Dirigent als die Besten des Abends: Da sang, da liebkoste die Soloklarinette Mario Cavaradossi vor »E lucevan le stelle«…

Der Scarpia des Bryn Terfel also: Nicht oft klingen die Worte »al piacer mio s’arrendera« wahrer, die Darstellung des Wüstlings überzeugender. (Wenn man die Partie denn so anlegt.) Daß Terfels stimmliche Leistung hinter mancher Erwartung zurückblieb, Puccinis Musik nur orchestral zündete: Es war im Hauptstück seine Schuld nicht. Der Waliser hinterließ stimmlich wie darstellerisch den besten Eindruck des Abends.

III.
Kaum zu glauben, daß Joseph Calleja erst mit dieser Tosca-Serie sein Rollen-Debut als Mario Cavaradossi im Haus am Ring gab. Calleja gilt ja vielen derzeit als der Tenor mit der schönsten Stimme. Und wirklich verfügt der Malteser über einen dunkel timbrierten Tenor, der auch ein gerüttelt Maß an metallischem Klang nicht missen läßt. Das funktioniert trotz einiger Rauhheit in der Stimme in der Mittellage sehr gut; erlaubte Calleja einen überzeugenden Start in den Abend mit »Recondita armonia«. Der erste Spitzenton — »Tosca sei tu!« — allerdings rückte die Dinge wieder ins Lot… »La vita mia costasse« erklang mehr glückhaft denn vorbereitet. Ebenso das »Vittoria«, ein wenig wackelig anvisiert.

Nun besitzen beide Passagen den Vorteil, daß Puccini dafür forte in der Partitur vorsah. Mit einiger Kraftanstrengung kann man also, wenn’s auch der Stimme nicht förderlich ist, gegen einen hochgestellten (und sich damit schließenden) Kehlkopf ansingen. Für den Spitzenton in »E lucevan le stelle« wie für die folgenden »dolci mani« nahm Calleja dann Zuflucht ins falsetto. — Solches sollte einem Tenor nie passieren. Doch wie will ich Calleja dies ankreiden (ausgenommen das gesangliche Ideal vor Ohren), wenn noch berühmtere Tenorkollegen sich für gleiche Leistung ausgiebig feiern lassen (und wiederholen)?

Die Richtigkeit solchen gesanglichen Tuns werden die meisten Sänger privatim bestreiten. Doch gilt es, Geld zu verdienen auf der Tour, solange Intendanten nachfragen und das Publikum Beifall spendet. Stimmliche Nachhaltigkeit: Sie ist lange schon aus der Mode gekommen…

IV.
Evgenia Muraveva gab in der ersten Vorstellung dieser Serie ihr Debut an der Wiener Staatsoper. »Jeder Zoll keine Diva«, so das Diktum einer langjährigen Opernliebhaberin. Ich begegnete Muraveva bereits im Sommer 2018 in der Salzburger Première von Tschaikowskis Pique Dame. Die damals festgestellte Farblosigkeit scheint mir Programm zu sein.

Im Jahr der für Napoleon siegreichen Schlacht bei Marengo war es undenkbar, daß eine Frau — und sei es auch Roms gefeierte Sängerin Floria Tosca — ohne Schleier ein Gotteshaus betrat. »Vissi d’arte« — ist eine Innenschau, eine Anklage; vorgehalten einem undankbaren Gott. Muraveva machte daraus Rampen­sing­theater, ohne Bezug zu Text oder Situation (dies zum Darstellerischen). Doch wieviel Emotion gälte es allein dieser Arie gesanglich abzugewinnen?1

Muravevas Stimme wartete mit einem heulenden Ton in der Höhe — so die Stimme dort nicht scharf wurde — und einer abgesetzten tiefen Stimmfamilie auf. Auch der Bereich über dem passaggio (in unseren Tagen die Problemzone der meisten Sängerinnen) ließ eine durchgängige Stimmbildung vermissen. Die Textdeutlichkeit ließ viele Wünsche offen. Als wäre all dies nicht genug, sang und agierte diese Tosca mit einer Beliebigkeit, die jede Seriosität des verhandelten Gegenstandes vermissen ließ. Keines ihrer vier Duette, nicht einmal die Arie hörte sich musikalisch durchgearbeitet an. Doch wie soll uns so das von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa eingerichtete melodramma, wie Puccinis Musik berühren?

V.
Diese Vorstellung: eine Tosca ohne Tosca.

  1. Für Interessierte hält das »This is opera!«-Team auf YouTube eine musikalische Analyse dieser Arie bereit.

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