Opernfestspiele.

Von Thomas Prochazka

(Ein Dramolett.)

München, Café Rischart am Viktualienmarkt, knapp vor 10:00 Uhr früh.

Intendant (in hellem Leinenanzug mit rosa Hemd, Sonnenhut und dunkelbraunen Mokkassins, kommt von hinten auf den bereits wartenden Kritiker zu, schlägt ihm jovial auf die Schulter):
Guten Morgen! Na, was war das für ein Erfolg gestern! Famos! Ganz famos!
Intendant (läßt sich in einen der Plastik-Rattan-Fauteuils fallen, hält die vorbeieilende Kellnerin kurzerhand am Rockzipfel fest):
Eine Melange, mein Kind! (Gibt ihr einen freundschaftlichen Klaps auf das Hinterteil. Dann zum Kritiker): Sie müssen zugeben, wir haben unseren Ruf als Opernhaus des Jahres eindrucksvoll verteidigt! Das soll uns der kleine Franzos’ in Wien erst einmal nachmachen! — Und alles mit Münchner Kräften besetzt — bis auf den Waldner, da durfte ein Österreicher ran, wegen dem Lokalkolorit! Ha, ha, ha… (Lacht über seinen eigenen Witz.)
Kritiker von Welt (fingert am seidenen Halstuch im offenen Hemdausschnitt herum):
Ich bitte Sie! Diese Inszenierung? Für dieses Werk, dieses leicht schwachbrüstige Operngeschöpf, wo die Liebe eine Ware ist, dieses nirgendwo so geliebte, anderswo als operettiger »Rosenkavalier«-Abklatsch verschmähte Stück? In dem Bühnenbild vom Sohn des größten Mandryka-Interpreten überhaupt: Da wohnen die Waldners im Keller, aber Zdenka singt munter: »Wie soll ich seine Augen sehen, er schaut ja nicht herauf!«
Intendant (überrascht):
Ja? Wirklich? Ich weiß nicht… Wissen ’S, für sowas habe ich meine Leute. — Ihr Kritiker seid aber auch pingelig! Das ist doch für die Storyline völlig uninteressant, wo die wohnen! (Unterbricht sich.) Wichtig ist: Die Leute haben gejubelt! Keine Buhs! Und das bei einer Festspiel-Première! Das soll mir dieser Franzos’ da in Wien…
Kritiker von Welt (fällt ihm ins Wort):
Und im dritten Aufzug, bevor Arabella Mandryka das Glas Wasser reicht, da singt sie in — warten Sie mal, gleich hab’ ich’s (fördert aus seiner Hosentasche einen zerknitterten Zettel zutage) — ich hab’ mir das von einem Orchester­musiker aufschreiben lassen, weil: Ich kann ja keine Partitur lesen…
Intendant (überrascht):
Sie auch nicht? Da haben wir ja schon wieder etwas gemeinsam! Der Laufenburg soll das aber angeblich können.
Kritiker von Welt:
Der heißt Laufenberg. Und seine Wiener »Elektra« sah nicht danach aus…
Intendant (lachend):
Ach, der auch nicht? Lustig! Der gute Uwe! Aber wie man sieht, wir Intendanten kommen auch so zurecht. — Daß diese musikwissenschaftlichen Kenntnisse auch immer so überbewertet werden. Unsereins ist doch Manager, nicht wahr? Mich hat die Musik schon nicht interessiert, da war ich noch Burgtheaterdirektor! Es geht um die Szene, verstehen Sie! Um die Darstellung! Der Rest ist Nebensache.
Kritiker von Welt (dreht den zerknüllten Zettel in der Hand):
Also, um auf den dritten Akt zurückzukommen: Arabella singt (liest den Text ab) »und diesen unberührten Trunk / kre­denz’ ich meinem Freund  / den Abend / wo die Mädchenzeit zu Ende ist für mich.« In E-Dur, steht da, in der Liebestonart. Und dann schüttet sie ihrem Bräutigam das Wasser ins Gesicht? Wenn das der Mickisch hört, begeht er Selbstmord!
Intendant (enthusiastisch wie ein kleines Kind begeisternd auf und ab wippend):
Das ist doch genial, was dem Dresen da eingefallen ist, wie? Die emanzipierte Frau am Beginn des 20. Jahr­hunderts! Auf diesen Regie-Einfall sind wir ganz besonders stolz!
Kritiker von Welt (allmählich verzweifelt):
Ja, aber das ist ja alles falsch… Das steht ja alles nicht in der Partitur!
Intendant (herablassend):
Ach was, Partitur! Die können Sie ohnehin nicht lesen, haben Sie gesagt! (Nimmt einen Schluck Kaffee, schüttelt sich.) Aber der Petrenko hat schon toll dirigiert. Es haben alle zugleich begonnen und aufgehört!
Kritiker von Welt (entgeistert):
Petrenko? Der hat ja gar nicht dirigiert, der probt ja in Bayreuth…
Intendant (überrascht):
Nicht? Stimmt! Jetzt, wo Sie’s sagen! Ich hab’ mich auch schon gewundert, warum er plötzlich so groß war, der Petrenko. Und warum er die ganze Zeit Schwyzerdütsch geredet hat!
Kritiker von Welt (fassungslos):
Sie wissen wirklich nicht, wer dirigiert hat?
Intendant (eilig):
Aber sicher doch, aber sicher doch. Das war der … der… — aber ist ja egal. So gut war’s eh nicht. Ah, jetzt fällt’s mir wieder ein: Das war doch der … der … der Dingsda, der Oberösterreicher, welcher möcht’, immer, der hat bei mir vorher auch schon ein Strauss-Konzert dirigieren dürfen…
Kritiker von Welt (faßt sich vor Entsetzen mit beiden Händen an sein seidenes Halstuch und ringt nach Luft):
Das beste an diesem Konzert war das Programmheft!
Intendant (erstaunt):
Finden Sie? Also, ich hab’ mir’s nicht angehört. Sie wissen ja, mich stört die Musik! Aber wenn ich dann 2020 im Opernhaus des Jahres aufhöre, werde ich ihn als Generalmusikdirektor mitnehmen nach Wien, den Oberösterreicher…
Kritiker von Welt (nach einigen Sekunden der Schockstarre):
Aber … aber da war der ja schon einmal GMD — bis die Philharmoniker einen neuen Vorstand wählten. Danach schmiß er ziemlich schnell hin…
Intendant (zuckt ennuiert mit den Achseln):
Ach ja, die Wiener! Herzig! Der Franzos’ mit seiner Liebe zum Ballett: Geh’n ’S, hören ’S mir auf: Wen interessiert denn schon Ballett? Da kann man doch die Klepper und den Dresen und den Konwitschny nicht als Regisseure engagieren! Das wichtigste ist das Theater, verstehen Sie? Theater!!! (Trinkt die Melange aus, welche sich als »Großer Kaffee« entpuppt hat.) Die Wiener schaffen es ja in zwei Probespielen nicht einmal, einen neuen Konzertmeister zu engagieren. Und dabei traten, wie man mir erzählte, zur Auswahl Leute an, die seit Jahren in dem Orchester spielen! Also, erzählen ’S mir nichts! (Schüttelt den Kopf.) Nein, nein, für Wien ist der Oberösterreicher gut genug. Und wenn ich einmal wirklich etwas Tolles hören will, fahr’ ich nach Berlin. Zum Barenboim.
(Vorhang.)
 

Dieser Text erschien erstmals im Juni 2015 auf der Website des Online-Merker.

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