» Fin de partie «: Georg Nigl (Clov) und Philippe Sly (Hamm) © Wiener Staatsoper GmbH/Sofia Vagaiová

» Fin de partie «: Georg Nigl (Clov) und Philippe Sly (Hamm)

© Wiener Staatsoper GmbH/Sofia Vagaiová

György Kurtág:
» Fin de partie «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Eine gelungene Produktion — die dritte der roščićschen Regentschaft, nach Le Grand Macabre und John Neumeiers Die Kameliendame.

II.
Gelungen, weil Samuel Becketts Vorlage, dieser Beitrag zum absurden Theater, dem Inszenierungsstil von Herbert Fritsch sichtlich entgegenkommt. Herr Fritsch zeichnet laut Programmheft für Inszenierung, Bühne & Kostüme verantwortlich. (Warum die allwissende Dramaturgie des Instituts dies durch ein kaufmännisches » Und « ausdrückt, als handle es sich um eine Firma mit drei Teilhabern, zählt zu den großen Mysterien dieser Direktion.) Die Kostüme sind ebenso fritschbunt wie die Requisiten. Sie stehen in starkem Kontrast zum öden Mittelgrau der Wände und der Decke des Raumes. Und der im selben Mausgrau bemalten Mülltonnen, darin Hamms Eltern Nell und Nagg dahinvegetieren. Nach einem Tandemunfall in den Ardennen beinlos und infantil, verbringen sie ihre letzten Tage in ihren Tonnen. Auf Sand vom Strand in der Nähe des Hauses, wie Nell feststellt, denn das Sägemehl, welches Clov, Hamms Diener, täglich wechseln sollte, ist längst aufgebraucht; und frisches, der Apokalypse wegen, nicht zur Hand.

Herbert Fritsch betont die Absurdität des in seiner Abwesenheit einer Handlung an Thomas Bernhards Theater erinnernden Stückes durch eine ausgefeilte Personenführung und bis zur Mimik choreographierten Details. (Bleibt die Frage, wieviel davon von der Galerie aus noch zu sehen ist.) Die vier Sänger, vor allem aber Georg Nigl (Clov) und Philippe Sly (Hamm) erfüllen den von György Kurtág auf rund 60 % gekürzten Text Becketts mit unzähligen schauspielerischen Feinheiten. Die Herrn Nigl und Sly tragen den Abend und machen ihn jeder zu einem persönlichen Erfolg.

III.
Ein Zeugnis der Aufführung wäre unvollständig ohne Hinweise auf Samuel Becketts Hintergedanken. Hamm, der blind und gelähmt in einem mit Röllchen versehenen Sessel sitzt, terrorisiert seinen Diener Clov, den er als Kind bei sich aufgenommen hat, ebenso wie seine Eltern Nell und Nagg. Beckett wählte die Namen mit Bedacht: Hamm leitet sich von hammer ab, Nell von nail, Nagg vom deutschen Wort für Nagel und Clov für das französische Vokabel clou. Sie sind nicht nur Wortspiel, sondern definieren die Beziehungen der Personen des Stücks untereinander: ein Hammer und drei Nägel.

IV.
György Kurtágs bislang einzige Oper verlangt ein großes Orchester mit vielen ausgefallenen Instrumenten. Allerdings setzt der Komponist die einzelnen Gruppen kammermusikalisch ein. Die Musik unterstützt das zumeist im Deklamatorischen verhaftete Wort. Kaum einmal verlieren sich die Gesangsstimmen im Orchesterklang.

Melodien im klassischen Sinne hält dieses Werk keine bereit. Es mäandert rezitativisch dahin, nur hin und wieder von Monologen unterbrochen, in welchen die Stimmen an Intensität zulegen. Kurtág setzt die Gesangsstimmen melodisch ein, doch ohne sie an die Grenzen der jeweiligen Fächer zu führen. In der Abwesenheit leicht faßbarer melodischer Themen und großer Gesangsbögen, wie sie Kurtágs Landsmann György Ligeti in Le Grand Macabre einzusetzen wußte, offenbart sich die gegenwärtige Auflösung der Kunstform Oper. Fin de partie wird so zu einer postapokalyptischen Farce über unsere (westlich orientierten) Gesellschaften, welche die Konzentration auf tägliche, aufgebauschte Detail-Erregungen schon längst den Blick auf das große Ganze verlieren ließ.

V.
Simone Young, in Wien gerne für neue Werke wie z.B. Henzes Das verratene Meer engagiert, ist György Kurtágs Partitur eine getreue Anwältin. Substanz kreieren, wo das Werk diese missen läßt, kann sie freilich nicht. Fin de partie gebricht es an der musikalischen Intensität der Opern eines Thomas Adès, György Ligeti oder Hans Werner Henze. Vieles bleibt daher unerfüllt.

VI.
Mit Hilary Summers in der Partie der Nell stand die Sängerin der Uraufführung auf der Bühne. Mrs. Summers Tongebung ist rein, allerdings scheint mir die Stimme nicht allzu groß zu sein. Zu abschließender Beurteilung wäre es erforderlich, die Sängerin in einer großen Partie, modern oder im Barockfach, zu erleben.

Den Tenor Charles Workman hörte ich fast nur in »modernen« Werken: als Edmundo di Nobile in der Uraufführung von Thomas Adès‘ The Exterminating Angel bei den Salzburger Festspielen und als Alwa in Alban Bergs Lulu. Auch er hinterließ als Nagg einen guten Gesamteindruck.

Philippe Sly überzeugt als Hamm — wie schon als Leporello in der aktuellen Inszenierung — durch variantenreiches Spiel und eine in der Mittellage gut geführte Stimme. Allerdings war auch an diesem Abend zu hören, daß Slys Instrument im piano über wenig Tragfähigkeit verfügt. Phrasen verebben mehr als daß sie gestaltet werden, der Ton entsprechende Stützung erführe.

Georg Nigl liefert als Clov eine schauspielerische Glanzleistung. Wie er in seiner Pantomime umständlich mit einer (übrigens gelb lackierten) Leiter hantiert, um diese endlich zu besteigen und sich von der vermeintlichen Apokalypse vor dem Fenster zu überzeugen; wie er mit Tolpatschigkeit fast am Aufstellen bzw. Zusammenklappen ebendieser Stehleiter scheitert; wie er sich fast mit den Sicherheitsketten dieser Leiter stranguliert; wie er als running gag frosch-gleich ein ums andere Mal im ersten Versuch die Tür verfehlt — das treibt die Absurdität auf die Spitze. Diese Clownerie trägt Elemente von Buster Keaton sowie Stan Laurel und Oliver Hardy in sich. Nigls Gestik, sein Euzerl zuviel an Betonung paaren sich mit einer für die Partie des Clov ausreichenden Stimme.

VII.
Eine gelungene Produktion, die uns die vielen Absurditäten unserer Zeit vor Augen führt.

Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, daß die österreichische Erstaufführung dieses Werkes nur durch ein großes Angebot an um bis zu 85 % vergünstigten Karten jene Auslastung hervorbrachte, die diese Direktion der Öffentlichkeit so gerne als Erfolg darstellt.

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