Gottfried von Einem: »Dantons Tod«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Giordano mag der bessere Komponist sein; Andrea Chénier die schöneren, eingängigeren Melodien enthalten. Doch die Intensität, die Spielfreude, mit der die engagierten Kräfte in von Einems Oper zu Werke gehen: Sie verkehren die Papierform ins Gegenteil.
II.
Nach Susanna Mälkki stand heuer Michael Boder am Pult des groß aufspielenden Staatsopernorchesters. (Das Klarinettensolo: herrlich!) Jene Klarheit und Ordnung des musikalischen Geschehens, welche Mälkkis Interpretation in den Folgevorstellungen der Premièren-Serie auszeichnete, bietet Boder nicht. Bei ihm erklingt von Einems Partitur musikantischer, freier; selbstverständlicher. Mitreißender. (Manchmal auch ein bissel überschwenglicher.)
III.
Vielleicht … vielleicht verfügt Michael Boder auch über die geeigneteren Sänger? Benjamin Bruns ist ein Camille Desmoulins, wie man ihn sich nur wünschen kann: Mit fester, voller Stimme, wie von Erich Seitter im Programmheft gefordert, gestaltet er ein auch musikalisch überzeugendes Portrait des Verbündeten Dantons. Der Hérault de Séchelles ist bei Michael Laurenz in guten Händen (wenngleich Jörg Schneider vor einem Jahr im gesamten einen stärkeren Eindruck hinterließ).
IV.
Der Georg Danton des Tomasz Konieczny scheint über unendliche stimmliche Kräfte zu verfügen. Wenig wortdeutlich zu Beginn des Abends (der polnische Akzent kommt ihm da immer wieder in die Quere). Aber wie beeindruckend, wie mitreißend Koniecznys Kraft in der Szene vor dem Revolutionstribunal! Da mag der Herrmann des Clemens Unterreiner noch so überzeugend klingen, so wortdeutlich sein (er ist beides): Im Ende muß er sich der Danton von von Einem verliehenen musikalischen Überzeugungskraft beugen. Nur das gefälschte Beweismaterial des Saint-Just (Peter Kellner) und Georg Büchners Drama führen im Ende dazu, daß der Robespierre des Thomas Ebenstein — wie bereits in der Premièren-Serie sehr, sehr gut in der Gestaltung seines Charakters — die Oberhand behält. Und die drei Freunde den Wirren der Revolution zum Opfer fallen.
V.
Vor allem stimmlich viel zu leichtgewichtig und damit wenig überzeugend: Olga Bezsmertna in der — zugegeben kleinen — Partie der Lucile. (Wie uns da binnen Monatsfrist eine Desdemona erwachsen soll: Mir bleibt es verborgen.) Auf der »Habenseite« des Abends wiederum: der stimmlich wie schauspielerisch einprägsame Simon des Wolfgang Bankl. (Wie er ja auch als Mathieu in Andrea Chénier durch seine Spielfreude immer Eindruck zu machen versteht.) Und die Henker Wolfram Igor Derntl und Marcus Pelz, in ihrer kurzen, aber einprägsamen Szene. Wie hintergründig böse war Gottfried von Einem, den beiden diese heurigenselige Melodie zu den Worten »Wenn ich nach Hause geh’, da scheint der Mond so schön« in die Kehlen zu schreiben, während sie an den aufgetürmten Leibern der Hingerichteten vorbeigehen. (Das ist es.)
VI.
Doch Dantons Tod ist nicht denkbar, nicht aufführbar ohne das Volk: den Chor der Wiener Staatsoper und die Komparserie: Stimmgewaltig ersterer, hervorragend im Spiel und im sich organisch entwickelnden Szenenumbau beide Gruppen. Es ist dies das Verdienst von Regisseur Josef Ernst Köpplinger und dem technischen Team des Hauses. Chapeau!
VII.
Wenn Oper, wie der designierte Staatsoperndirektor unlängst in einem Interview raisonnierte, mehr sein muß als »Konzerte in Kostümen«: Dann…, ja, dann erbrachte die Wiener Staatsoper mit dieser Vorstellung dafür den glänzenden Beweis.