»Pagliacci«, 2. Akt, im Bühnenbild und den Kostümen des großen, des unvergessenen Jean-Pierre Ponnelle © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Pagliacci«, 2. Akt, im Bühnenbild und den Kostümen des großen, des unvergessenen Jean-Pierre Ponnelle

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Pietro Mascagni:
» Cavalleria rusticana « / Ruggero Leoncavallo: » Pagliacci «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Es gibt sie noch: die Abende, an welchen wir Opernnarren zur Vorstellung eilen: — eines Haus-Debuts wegen; um einen Liebling zu feiern; um einer Sängerin beim Reifen zuzuhören. Oder weil ein Großer seines Faches, ein für die Oper Brennender, ein Meister, eine Symbiose aus Inszenierung, Bühnenbild, Licht und Kostümen schuf, die wiederzusehen lohnt.

Dann herrscht gespannte Erwartung, und die Applausgaben werden mit dem Wissen langjähriger Erfahrung verteilt.
Man war nicht zu großzügig; — und das zurecht.

II.
Mit Nicola Luisotti am Dirigentenpult wäre ein Grund benannt. Nicht bedächtige Tempi, sondern fehlende Binnenspannung erschwerten den Sängern ihre Arbeit. Pietro Mascagni benötigte 1940 für seine Einspielung der Cavalleria rusticana mit den Kräften des Teatro alla Scala 82:40 Minuten. Doch welche Spannung zauberten Lina Bruna Rasa, Giulietta Simionato, Benjamino Gigli und Gino Bechi in die schwarzen Rillen der elf Schellack-Schallplatten!

Unter Maestro Luisottis Leitung zerfiel das Ganze in seine Szenen. Applausheischende Pausen hinderten den Fortgang, die Choreinsätze wackelten auf und hinter der Bühne. Hin und wieder mangelte es an der orchestralen Balance — vor allem bei den Holzbläsern (nota bene den Flöten und Hörnern), aber auch den Streichern. Und immer war es ein Zuviel an Ton, an dem das Ohr hängenblieb. Mehr uninteressant als tröstend: der erste Teil des Cavalleria-Intermezzos. Erst als die Orgel einsetzte, stellte sich jenes (falsche) Tröstende, jene Ruhe ein, das dem Komponisten vorgeschwebt sein dürfte.

Der Staatsopernchor sang und spielte engagiert. Wieder einmal wurde — in der Cavalleria rusticana — sichtbar, wie vernichtend der Ausstoß aus einer Gesellschaft sein kann: Solches auch noch nach Jahrzehnten am Spielplan einem Publikum sichtbar zu machen ist bzw. war nur wenigen Regisseuren gegeben.

» Cavalleria rusticana «: Elīna Garanča als Santuzza © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

» Cavalleria rusticana «: Elīna Garanča als Santuzza

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

III.
Cavalleria rusticana brachte ein Wiedersehen mit Elīna Garanča als Santuzza. Ich finde, sie müht sich immer noch mit der kongruenten Darstellung einer Frau, die ganz Gefühl und kaum Verstand ist. Frau Garančas Mittellage hinterließ einen sehr guten Eindruck: Da ward auf Linie gesungen, mit durchaus kompaktem Ton. Tiefe Phrasen suchte sie durch Abdunkeln der Stimme zu größerer Durchschlagskraft zu verhelfen. Mit Fortdauer des Abends (vielleicht, weil im Spiel denn doch die Konzentration auf die Technik nachläßt?) hörte ich Ermüdungserscheinungen in der Höhe: scharfe, mitunter vom Rest der Stimme abgesetzte Töne, nachlassende Textdeutlichkeit in diesen Regionen.

Jonathan Tetelman holte in dieser Serie in der Partie des Turiddu sein Haus-Debut nach. Viele werden mit mir rechten, aber mir scheint Herrn Tetelmans Stimme für diese Partie an einem Haus dieser Größe zu klein. Ja, das Material ist schön. Ja, Jonathan Tetelman kann laut singen; — doch eine laute Stimme ist nicht zwangsläufig eine große Stimme. Manches piano verebbte unterschiedlichen Stimmdrucks wegen, manche hohen Töne klangen gepreßt. Herr Tetelman sang mit geradem, für sein Alter allerdings erschreckend geradem und trockenen Ton. Noch(?) beherrscht Turiddu Tetelman, präsentierte er sich auch im Spiel facettenarm, auf wenige Gesten beschränkt — dabei sollte es umgekehrt sein.

Ebenfalls neu für das Wiener Publikum war Adam Plachetka in den Partien des Alfio (Cavalleria rusticana) und Tonio (Pagliacci). Herr Plachetka suchte den Fuhrmann als ganzen Kerl darzustellen. Gesanglich gelang dies allerdings nur bedingt: Zu resonanzarm, zu flach klang das. Zu uninteressant blieben sowohl Alfio als auch Tonio im Spiel, als daß jenes für die veristische Oper notwendige Maß an Glaubwürdigkeit erreicht worden wäre. Konnte der Fuhrmann noch poltern, so mußte Tonio die begehrte Nedda stimmlich zu verführen suchen. Schwierig, wenn die Höhen derart angestrengt klingen, wenn die Stimme in den piano-Passagen immer wieder vorzeitig verebbt.

Die Mamma Lucia der Elena Zaremba klang stimmlich älter, als deren Trägerin ist. Und Anita Monserrat als Lola wußte in keiner Phrase so auf sich aufmerksam zu machen wie jene ihrer Vorgängerinnen, welcher sie an besagtem Abend gegenüberstand.

» Pagliacci «: Maria Agresta (Nedda/Colombina) und Jonas Kaufmann (Canio/Pagliaccio) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

» Pagliacci «: Maria Agresta (Nedda/Colombina) und Jonas Kaufmann (Canio/Pagliaccio)

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

IV.
Für die Pagliacci hatte man sich der Mitwirkung von Jonas Kaufmann versichert. Dieser sang neben der Partie des Canio auch den Prolog, für welchen der Komponist in der Partitur doch den Sänger des Tonio mit der Stimmlage eines Baritons vorsah. (Darüber wird an anderer Stelle noch zu sinnieren sein.)

Nun denn: Es war ein durchwachsener Abend — sowohl im Prolog als auch als Canio. Immer wieder mangelte es Herrn Kaufmann in der Höhe an stimmlicher Kraft, zum Beispiel bei den Spitzentönen im Prolog und bei den ventitrè ore: — vom vorgeschriebenen con eleganza ganz zu schweigen. Nach Vesti la giubba gab es überraschend zurückhaltenden Applaus. Da stand Herr Kaufmann mit dem Rücken zum Publikum vor dem Wagen. Es ehrt ihn, daß er sein Publikum nicht im Unklaren über seine Leistung ließ. Er gab, was ihm an diesem Abend möglich war. Im Finale brachte er die Vorstellung mit dem Wissen einer jahrzehntelangen Karriere durchaus ordentlich zu Ende.

Maria Agresta hatte die Nedda bereits bei den Osterfestspielen Salzburg 2015 an Herrn Kaufmanns Seite gesungen. Frau Agresta gelang die Einbindung der Bruststimme besser als vielen ihrer Kolleginnen. Dennoch klang die Stimme ab der Mittellage immer wieder eng, litt die Wortdeutlichkeit auf Grund dieser muskulären Verspannungen. Kaum einmal stellte sich eine Gesangslinie ein, und manche Intonationstrübung war nicht zu überhören. Stefan Astakhov sang den Silvio mit gaumigem Ton und abgedunkelter Stimme. Insofern blieb er seiner stimmlichen Rollenauffassung vom Juni 2023 treu, als er zum ersten Mal diese Rolle übernommen hatte.

Ebenfalls keine Änderung in der Rollenauffassung gab es beim Beppo des Jörg Schneider. Die Partie ist ja nicht groß: Einzig O Colombina bietet solistische Entfaltungsmöglichkeiten. Umso erstaunlicher, wie es Herrn Schneider gelang, durch seine stimmliche Gestaltung hervorzustechen: Da sang jemand auf Linie; mit komprimiertem Ton und vorbildlicher Textdeutlichkeit (einzig Herr Kaufmann tat sich in dieser Hinsicht ebenfalls hervor). Es gibt sie also doch noch, die (lyrischen) Tenöre.

V.
Keine Sternstunde, aber ein mehr als ordentlicher Repertoire-Abend.
Immerhin.

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