»Salome«: Gun-Brit Barkmin in der Titelpartie © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Salome«: Gun-Brit Barkmin in der Titelpartie

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Salome«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Animalisches — ja, doch — auf der Bühne. Animalisches auch im Graben: Wie ein wildes Tier lauert das Orchester der Wiener Staatsoper, um die Strauss’sche Partitur mit Feuer zu erfüllen. Michael Boder gibt am Pult den Helden.

Die Bändigung: Sie gelingt — fast. Nur manchmal läßt Boder zu laut spielen. Sehnt man sich nach den unaufgeregten, kleinen Handzeichen eines Peter Schneider… Orchestraler Höhepunkt des Abends: Salomes Tanz (musikalisch; nicht auf der Bühne). Musikalischer Höhepunkt: die kol­lektive Leistung im Graben. Wieviele Opernorchester vermögen wohl so aufzuspielen?

II.
Herodias und Herodes sind mit Jane Henschel und Herwig Pecoraro besetzt: arrivierte Kräfte. Sie wissen darum, mit drastischem Ausdruck in Spiel und Stimme gesangliche Schwächen zu kom­pensieren. Dies reicht aus, um einen Großteil des Publikums zu beeindrucken. Nicht aller­dings, um wortdeutlich zu singen.

Bei Henschel wird klar, warum Herodes sich Salome zuwendet. Bei Elisabeth Kulman wunderte man sich, weshalb Herodes sich für Salome interessierte. Bei Wolfgang Ablinger-Sperrhacke wuchs Herodes einst zu einer Hauptpartie, zum Verführer und späteren Gegenspieler Salomes. Bei Pecoraro — nicht so sehr. Da fehlt es denn doch am Verführerischen in der Stimme, an der Wortdeutlichkeit. (Es ist dies nicht nur eine Frage der Orchesterlautstärke. Sondern auch der Gesangstechnik.)

III.
Ulrike Helzel gab wiederum den (zu) ängstlichen, eingeschüchterten Pagen; ohne jene ho­mo­ero­tischen Anspielungen, welche sich ja doch nur in Oscar Wildes Vorlage finden. Zu blaß… Eine interessante Frage, dies: Sollen in einer Inszenierung auch jene Texte Berücksichtigung finden, welche z.B. in der Textvorlage zum Libretto stehen? Überlieferte Aussagen des Komponisten (z.B. in Briefen an seinen Librettisten, an den Regisseur der Uraufführung)? Oder soll für die musikalische und szenische Gestaltung die Partitur erste Quelle allen Tuns sein?

Jörg Schneider in der Partie des Narraboth: die beste Leistung des Abends. Er singt — als ein­ziger — auf Linie, weiß zu phrasieren. Schneiders Stimme besitzt einen Kern; klingt in der tiefen Lage kräftig. Die Töne der hohen Lage singt er coperto. Darüber entgeht einem fast, daß sich dieser Narraboth durch seine Rüstung hindurch erdolcht...

»Salome«: Salome (Gun-Brit Barkmin) verführt Narraboth (Jörg Schneider) dazu, den Zugang zur Zisterne Jochanaans zu öffnen © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Salome«: Salome (Gun-Brit Barkmin) verführt Narraboth (Jörg Schneider) dazu, den Zugang zur Zisterne Jochanaans zu öffnen

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Markus Marquardt müht sich als Jochanaan. Nach Kräften. Aber es nutzt halt alles nichts: Man hört es bereits bei seiner ersten, aus der Zisterne gesungenen Phrase. Die Stimme klingt an­ge­strengt, verspannt. Dabei ohne Kern. Schwächelt am unteren wie am oberen Ende des Ton­um­fangs. Etwa, wenn sie bei »Du bist verflucht!« bis zum hohen ›f‹  aufzusteigen hat. Im forte vorgetragene Phrasen in der Mittellage vermögen Stimmenliebhaber nicht darüber hin­weg­zu­täuschen: Hier wuchert ein Sänger mit seinem Kapital. Und daran ändert sich leider bis zum Schluß nichts an diesem Abend.

V.
In Jürgen Roses Ausstattung ist Jochanaans Kopf kein Pferdeschädel. Das hilft. Auch werden kei­ne steinernen Wände mit Stoff bespannt. Anstelle dessen gibt es den in grünen Farbtönen ge­hal­tenen Innenhof des Tetrachenpalastes zu sehen; mit an Gustav Klimt erinnernden, goldenen Ornamenten. Das hilft auch.

Oder, besser gesagt, es sollte. Denn auch die Salome der Gun-Brit Barkmin präsentiert sich nicht in jener Form, in welcher wir sie in Erinnerung haben. Schwächelt; vor allem, wenn es darum geht, die Bruststimme zu aktivieren. Dadurch bleibt des öfteren die Wortdeutlichkeit auf der Strecke, geraten die Höhen das eine oder andere Mal scharf. Mehr Girlie denn Königstochter… Doch eine Salome säuselt nicht. Sie schmeichelt, mit jenem vor Selbstbewußtsein strotzenden Unterton, welcher von vornherein jeden Widerspruch ausschließt.

Dieses stimmliche Fundament: Barkmin bleibt es schuldig. Nur ein-, zweimal vertraut sie auf ihre Brust­stimme. Und in diesen Momenten überstrahlt das Organ das Strauss-Orchester mühe­los. Gelänge solches doch immer…

VI.
Was bleibt? Eine gute Repertoire-Vorstellung. Und die nachdrückliche Erinnerung daran, daß es das Orchester ist, welches an Abenden wie diesem den Unterschied ausmacht.

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