» Lohengrin «, 3. Akt: Georg Zeppenfeld (Heinrich der Vogler) am Brückenkopf, David Butt Philip (Lohengrin), liegend Martin Gantner (Friedrich Graf von Telramund), sitzend Anja Kampe (Ortrud), Malin Byström (Elsa von Brabant) und die Chöre der Wiener Staatsoper © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Lohengrin «, 3. Akt: Georg Zeppenfeld (Heinrich der Vogler) am Brückenkopf, David Butt Philip (Lohengrin), liegend Martin Gantner (Friedrich Graf von Telramund), sitzend Anja Kampe (Ortrud), Malin Byström (Elsa von Brabant) und die Chöre der Wiener Staatsoper

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Wagner: » Lohengrin «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Romantische Oper in drei Akten. » Inszenierung: Jossi Wieler/Sergio Morabito «. Man finde den Fehler.

II.
Dennoch ist von Fortschritten zu berichten. Kein Schelde-Rinnsal durchfloß das bayerische Wirtshaus. Diesmal wird uns wenigstens ein Kanal vorgestellt. So ist die Annäherung an den Gegenstand. Auch kostümmäßig. Hierfür — und für das Bühnenbild — zeichnet Anna Viebrock verantwortlich. Viebrock und Jossi Wieler/Sergio Morabito gehen zusammen wie Bezeichnendes und Bezeichnetes; — seit gefühlten, publikumsdurchlittenen Äonen schon. Von der trachtigen Gegenwart rückte man entschlossen in eine unbestimmte, mit Elementen aus den 1910-er bis in die 1970-er Jahre reichende Vergangenheit. Unter Beibehaltung dieser Zeitsprünge wird man nach etwa zehn weiteren Inszenierungen im Jahr 933, in welchem sich die Rahmenhandlung zutrug, angelangt sein. Nun heißt es nur noch ausharren.

III.
Was mich wundert, ist die vielerorts geäußerte Verwunderung. Geradeso, als ob dieser Produktion Zusammen- und Umsetzung eine Überraschung gewesen wäre. Dabei war das Ergebnis doch vorauszuahnen. Nicht nur, daß diese Inszenierung bereits vor mehr als zwei Jahren einem betuchten Osterfestspielpublikum vorgesetzt worden war, weiß man, wofür die Firma Jossi Wieler/Sergio Morabito seit Jahrzehnten schon bürgt: für Autorenschaft beanspruchende » Theaterarbeit « und das Ansinnen, ihre gedankliche Überlegenheit anzuerkennen. Nachzulesen vielerorts, auch in einem E-mail-Austausch (» Welche Ordnung der Dinge? — Zum Repertoire der Opernbühnen des 17. und 18. Jahrhunderts «) mit dem Autor.

Nämliches galt für die musikalischen Leistungen des Abends. Ein Blick auf den Besetzungszettel enthüllte, was einen erwartete.

IV.
Der Firma Jossi Wieler/Sergio Morabito & Cie.’s Arbeit ist reich an Einfällen. Doch ihre Einfälle sind nicht reich. Die Anhänger der Firma werden unzählige Argumente finden, warum auch diese » Theaterarbeit « hervorragend ist: Daß Elsa ihren Bruder ja doch zu Tode gebracht haben könnte. Daß es keinen Unterschied macht, ob Lohengrin sich nach getaner Arbeit in einem Kanal ertränkt oder in einem von einer Taube gezogenen Nachen mit gesenktem Haupte, traurig auf seinen Schild gelehnt von dannen fährt. Daß Elsa nach dem Brudermord durchaus entrückt Einsam in trüben Tagen singen könne. Immerhin bewies sie ja in der Version der Firma Wieler/Morabito & Cie. die Kaltblütigkeit, sich nach der Tat während des Vorspieles auf offener Bühne umzukleiden. Doch im Vorspiel des Lohengrin geht es um den Gral; — und um nicht anderes als den Gral.

Die Anhänger modischen Regisseur-Theaters werden auch nicht müde werden zu betonen, daß es durchaus Sinn macht, wenn Friedrich Graf von Telramund seiner Frau Ortrud geglücktes Einschmeicheln bei Elsa gestisch bejubelt. Ist es der Firma Wieler/Morabito & Cie. Schuld, wenn der Schöpfer des Werkes die Situation völlig falsch beurteilte und Telramund die Worte So zieht das Unheil in dies Haus! in die Gurgel komponierte? Und wer kann Einwände geltend machen, daß Gottfried, nachdem die kaltblütige Mörderin Elsa ihn nach Lohengrins Abgang aus dem Kanal gezogen hat, als erste Handlung seine ältere Schwester mit dem von ihr übergebenen Schwert erschlägt?

Diese » Theaterarbeit « ist vom ersten Aufgehen des Vorhanges an wider die Partitur gearbeitet. Doch in dieser legte Richard Wagner nieder, wann welche Aktion ausgeführt werden sollte. Das Abschreiten des Kampfplatzes der drei sächsischen und drei brabantischen Edelleute findet sich darin ebenso wie, um nur wenige Beispiele zu nennen, die musikdramatische Choreographie des Gottesgerichtes, der Brautzug zum Münster oder Ortruds Anrufung ihrer Götter. Mit Hilfe der Tonartencharakteristiken bestimmte der Komponist auch, in welchem Bezug die einzelnen Personen und ihre Handlungen zueinander stehen. Doch dieser Richard Wagner ist ja nur der Erfinder des Ganzen; daher mehr als 150 Jahre nach der Uraufführung bei einer Neuinszenierung eine durchaus zu vernachlässigende Größe.

V.
Wo bleibt Christian Thielemann, Kapellmeister und musikalischer Leiter des Abends, in all dem? Hält er, was Orchestermitglieder während der Aufführung bei Blicken auf die Bühne zu ungläubigem Kopfschütteln veranlaßt, für gut? Für der Kunstform Oper dienlich?

Nun, zum ersten kann man dem Mann schwerlich vorwerfen, nicht in öffentlicher Ablehnung publizistischen Selbstmord zu begehen. Zum zweiten gab der Kapellmeister die Antwort bereits in seinem Buch Mein Leben mit Wagner: Tritt mir heute ein Regisseur mit unumstößlichen Ansichten entgegen und habe ich das Gefühl, diese Ansichten verhindern oder zerstören die Atmosphäre, die ich musikalisch erzeugen möchte, dann werde ich pragmatisch. Dann versuche ich, möglichst viel von meiner Haut zu retten.1

Trotzdem stand an diesem Abend auch orchestral nicht alles zum Besten. Das Vorspiel entbehrte jener Dringlichkeit und Subtilität, welche die konzertanten Aufführungen in den philharmonischen Konzerten eine Woche zuvor noch zum Außerordentlichen werden ließen. Nicht nur im ersten Akt nahm Kapellmeister Thielemann vieles langsamer, als für diese Szene und die engagierten Sänger zuträglich gewesen wäre. Da knickte der Spannungsbogen, Langeweile stellte sich ein. Auch das Aktfinale klang irgendwie statisch, bei den Solisten ging es munter drunter und drüber, als wäre jeder froh, seinen Part möglichst fehlerfrei abzuliefern. Das kann, nein, das muß anders, auch mitreißender, klingen.

Die ersten Szenen des zweiten Aktes boten ein ähnliches Bild. Erst beim Wechsel zum Platz vor dem Münster (der bei Frau Viebrock selbstverständlich kein Münster, sondern die Unterführung einer Brücke ist) nahm die Vorstellung Fahrt auf; gestaltete sich die musikalische Grundierung interessanter. Das große Tableau, in dessen Mittelpunkt der Staatsopernchor glänzte, geriet mir zum Höhepunkt der Aufführung. Überhaupt, die Chöre: abgesehen von einem anämisch klingenden und teilweise über dem Orchester unhörbaren Brautchor zählten diese zu den Pluspunkten des Abends.

Der Höhepunkt: das Vorspiel zum dritten Akt. Ohne Szene, bei halber Saalbeleuchtung, ohne notwendige Rücksicht auf überforderte Sänger, trat Wagners Komposition in ihr Recht. Ließen Dirigent und Orchester erkennen, was man an ihnen hat. Davor und danach wurde durchaus fein abgestimmt und transparent im Klang musiziert. Doch viel zu oft fühlte man sich im Graben offensichtlich gezwungen, die Intensität der Wiedergabe, das, was Oper ausmacht, am Altar fehlender stimmlicher Durchschlagskraft der Sänger zu opfern.

VI.
Die Sängerbesetzung machte deutlich, wie weit fortgeschritten die Erosion des Operngesanges bereits ist. Lohengrin steht in der italienischen bel canto-Tradition und sollte nach dem Willen Richard Wagners auch so gesungen werden. Dafür ist die Beherrschung von legato und messa di voce unabdingbare Voraussetzung. Ohne diese verkommt (nicht nur) Wagner-Gesang zur Brüllorgie, zumeist gepaart mit dem allseits praktizierten » Konsonanten-Spucken «, d. h., der harten Betonung der Endlaute: Richte rechttt! Das solches Tun jede Linie bricht, sollte auch gesangstechnischen Laien unmittelbar einsichtig sein.

Vielleicht liegt das Geheimnis des großstimmigen Wagner-Gesanges der Vergangenheit ja auch darin, daß Sängerinnen wie z. B. Elisabeth Rethberg oder Frieda Leider neben ihren Elsas, Brünnhilden und Isolden auch Mozart sangen. Daß die Stimmen der Vorgänger von Malin Byström, David Butt Philip und Co. technisch besser ausgebildet waren? Daß die Aus- und Einbindung der Bruststimme (der » unteren Stimmfamilie «) für Sänger jener Zeit selbstverständlich war und jener entscheidende Faktor, der eine Stimme erst groß, d. h., tragfähig (und damit auch im piano gut hörbar) macht?

Die gesangliche Seite jenes Abends geriet jedenfalls enttäuschend, selbst für heutige Verhältnisse. Auch Georg Zeppenfeld als Heinrich der Vogler ließ — vor allem im ersten Akt — die gewohnte Qualität seine Basses missen. Zeppenfelds Stimme ist von schlankerer Art als beispielsweise jene von Julius Hühn oder Günther Groissböck. Dieser Abend zählte nicht zu den besten des Bassisten: Die Höhe klang angestrengt, Töne ab dem hohen Baß-› e ‹ und manche Phrase waren von Unsicherheiten geprägt. Doch abseits davon hörte ich eine Stimme mit stetem, klarem Ton, kontrolliertem Vibrato und der erforderlichen Energie. Fehler eines Abends also, nicht Mängel.

David Butt Philip, der Sänger des Lohengrin, verfügt über einen nicht allzu großen, bereits an beiden Enden des Stimmumfanges schwächelnden Tenor. Vor allem im ersten Akt klang Butt Philips Stimme ab dem passaggio oft gepreßt und eng. Immer wieder bewegt sich beim Lohengrin die Stimme am und um das passaggio. Das erfordert oftmaliges, bruchloses Durchqueren und den Wechsel von der unteren zur oberen Stimmfamilie bzw. in die Gegenrichtung. Damit vollauf beschäftigt, blieb Butt Philip für gesangliche Gestaltung und Beachtung der dynamischen Vorzeichen wenig Raum. Die Gralserzählung gelang für heutige Verhältnisse gut, doch sonst störten harte Endkonsonanten zu oft die Ausbildung der vom Komponisten eigentlich gewollten Gesangslinie. Wie lang seine Stimme diesen Anforderungen noch standhalten wird?

Malin Byström überforderte ihren lyrischen Sopran in den letzten Jahren offensichtlich zu oft mit Salomes und anderem, zu schweren Repertoire. (Genaugenommen zählt auch die Partie der Elisabeth von Valois zum » Sündenregister «.) Die unüberhörbare Folge: Byströms Instrument verlor jeden Glanz, präsentierte sich als Schatten jenes, welches für eine auch nur befriedigende gesangliche Interpretation der Elsa von Brabant erforderlich scheint. Die Stimme klang von den ersten Takten an seltsam belegt und unrein. Zurückgenommen ins piano, verlor sie deutlich an Volumen (jener stimmlichen Größe, welche Leider und Rethberg auszeichnete), typisches Merkmal einer unterentwickelten unteren Stimmfamilie. Vom Sopran-› g ‹ aufwärts wuchs den Tönen immer mehr Vibrato zu. Man hörte förmlich den von Frau Byström zu leistenden Krafteinsatz zur Stabilisierung ihrer Stimme.

Der Friedrich von Telramund des Martin Gantner klang, nicht nur im ersten Akt, mehr nach Alberich denn nach einem brabantischen Graf. Seine Stimme war hart in der Aussprache, mit zuwenig stimmlicher Energie und, sobald das passaggio nahte, verspannt. Da war die Ortrud der Anja Kampe von anderem Kaliber: Sie ließ eine zwar nicht schöne, aber im Wagner-Gesang gestählte Stimme hören. Wenngleich auch Kampe vor Wagners bel canto-Anforderungen vor Jahren schon kapituliert hat, eignet ihrer Stimme ein Zentrum, das sie im Tun über ihre Kollegin erhob. Schade, daß die große Szene der Ortrud im zweiten Akt (Entweihte Götter) bei Kampe nicht zu jenem großstimmigen Ereignis wurde, mit dem Kerstin Thorborg 1940 als Einspringerin das Publikum der Metropolitan Opera zu Begeisterungsstürmen hinriß.

Bleibt zu guter Letzt der Heerrufer, gesungen von Attila Mokus. Auch er scheint dem Singen auf Linie bereits abgeschworen zu haben. Auch seine Stimme ließ bei längeren Tönen ein wenig kontrolliertes Vibrato hören. Und ja, Mokus’ Stimme ist für diese Musik zu leichtgewichtig und zu flach, als daß er König Heinrichs Willen stimmlich überzeugend zu vertreten vermochte.

VII.
Aber all das war eigentlich vorauszusehen gewesen.
Kein Grund also, verwundert zu tun.

  1. Christian Thielemann: » Mein Leben mit Wagner «. Unter Mitwirkung von Christine Lemke-Matwey. Verlag C. H. Beck oHG, München, 2012, ISBN 978-3-406-63446-8, S. 144

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