Giuseppe Verdi: » Macbeth «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Hieß Klaus Bruns alle Figuren in nachtblaue oder schwarze, asiatisch bzw. altertümlich anmutende Gewänder kleiden; — mit Ausnahme der Hexen. Diese — ohne ein wenig Provokation geht es eben doch nicht —, Frauen wie Männer, rufen als stumme Zeugen des Geschehens mit entblößtem Oberkörper und hautfarbenen Beinkleidern den Eindruck vollkommener Nacktheit hervor. Pantomimisch begleiten sie die Szene, sorgen für den Transport der die Inszenierung prägenden Raben. (Den Gesangspart übernimmt der sehr gut disponierte Staatsopernchor.) Eine Ausnahme bei den Kostümen: Lady Macbeth tritt in dunkelblauer Robe auf. Und die Nachtwandelszene absolviert sie im einfachen weißen Nachtgewand. Auch Macbeth wird nach seinem Tod von Macduff das Schwarz entrissen: Er singt seine letzten Worte vor herabgelassenem Vorhang im weißen T-Shirt.
II.
Kosky arbeitet mit Raben und ihren Federn; — als Symbol. Die Komparsen der Staatsoper, die Hexen, sind dafür zuständig, sie unauffällig auf bzw. von der Bühne zu bringen. Das passiert gekonnt; auf unaufdringliche Weise.
Eine Frage allerdings bleibt: Wofür stehen die Raben? Denn nur in der babylonischen Version der Sintflut, erst seit der Christianisierung gilt uns der Rabe als Dämon, als Vertreter des Bösen. In den nordamerikanischen Indianermärchen, in der nordischen Mythologie symbolisiert das Tier die Weisheit; — man denke an Odin, an Apollon oder Noah.
Da die Christianisierung Schottlands zur Zeit, da sich die verhandelten Ereignisse begeben, noch in den Kinderschuhen steckte, verbleibt als gültige Deutung der Raben nur die positive. Wenn Macbeth also am Schluß des Abends auf einem der beiden Stühle Platz nimmt, immer wieder auf die Raben zeigt, welche am anderen sitzen — hervorragend übrigens der Eindruck lebender Tiere! —: Sollen wir annehmen, daß für Kosky Mord und Totschlag, Rücksichtslosigkeit um jeden Preis die Mittel der Wahl darstellen?
III.
Barry Koskys Inszenierung verlangt den Sängern der beiden Hauptpartien kaum zu Leistendes ab: Fast ohne Requisiten, zurückgeworfen auf sich selbst, gilt es, mit stimmlichen und schauspielerischen Mitteln zu überzeugen.
Luca Salsi gelingt die vielschichtigere Zeichnung seines Charakters. Anna Pirozzi mißt als Lady Macbeth mit Ausnahme der Bankettszene dem Schauspiel weniger Gewicht bei. Beiden gemeinsam sind zumeist rauh klingende Stimmen. Die entfesselte Lautstärke beeindruckt immer wieder. Doch täuscht sie nicht über die gesanglichen Defizite hinweg. (Es gilt zu unterscheiden zwischen dem, was uns heute leistbar erscheint und dem, was die Partitur und die dokumentierte Aufführungsgeschichte fordern.)
Luca Salsi bestreitet den Abend mit uneinheitlich klingender Stimme: Wann immer er forte singen kann, Verdi Macbeth die Mittellage zuweist, stabilisiert sie sich; klingt kraftvoll, wenn auch nicht nobel. In den mezzoforte und piano notierten Passagen macht sich zu oft unterschiedlicher Stimmdruck in den einzelnen Silben bemerkbar. Das wird am Ende eines langen, intensiven Abend auch in Pietà, rispetto, amore
hörbar: Kraft und Wille triumphieren über die (doch eigentlich als Basis allen Tuns) geforderte gesangliche Linie.
Anna Pirozzi beginnt den Abend — mit Schweigen. Denn Kosky verfügte, daß das die erste große Szene der Lady einleitende Lesen von Macbeths Brief verfremdet via Tonband eingespielt werde. Das klang nicht nur kaum verständlich nach dem »Karpfisch« aus Die Weiden, es nahm der Sängerin auch die Gelegenheit, in den Abend hineinzufinden. Verdi sendet die Stimme der Lady bereits im Rezitativ Ambizioso spirto tu sei, Macbetto
bis in höchste Sopranhöhen. Da hülfe jeder Takt, die Stimme vorzubereiten. Wie ihr Gemahl überzeugte Pirozzi eher mit brute force denn mit jener Gesangskultur, wie sie — ohne die (im Grunde sinnlose) » Fach «-Diskussion zu bemühen — uns von den großen Alten überliefert ist. Viele von Pirozzis Spitzentönen klingen an diesem Abend unruhig, weil unfokussiert; manche auch ein wenig zu tief.
IV.
Barry Koskys Inszenierung … Sie ist keine einfache. (Auch nicht für jenen Teil des Publikums, der rätselt, wer denn nun welche Partie singt.) Koskys Inszenierung drängt alle anderen als die Sänger der Hauptpartien — den sehr präzise agierende Chor der Wiener Staatsoper eingerechnet — in dem durchaus die Geschichte erzählenden Abend an den Rand. Das betrifft den Banco des Roberto Tagliavini ebenso wie den Macduff des Freddie De Tommaso oder den Malcom des Hiroshi Amako. Letzterem steht nur ein wenig Volumen entwickelnder und in der Höhe eng und angestrengt klingender Tenor zu Gebote. Welch ein Unterschied zu De Tommasos Ah, la paterna mano
! De Tommasos Stimme bewegte sich sicher und mit ausreichend Volumen im geforderten Bereich. Mein Einwand: Zu oft hörte sie sich für mich breit geführt an, ein wenig unfokussiert. (Wo ist das Zentrum?)
Ich weiß, ich finde mich einer Minderheit zugehörig. Trotzdem halte ich Roberto Tagliavinis Rollen-Portrait des Banco — laut Ferruccio Furlanetto eine vacanza pagata — für die gesanglich, weil technisch beste Leistung des Abends: Tagliavini führt seine Stimme, der Ton strömt, die Musik fließt.
V.
Musikalisch war der Abend Giampaolo Bisanti anvertraut. Der gebürtige Mailänder verstärkte meine im Feber 2018 gewonnenen Eindrücke: Er leitete das Staatsopernorchester in italienischer Kapellmeistertradition; mit Gestaltungswillen, mit Schwung. Allerdings auch mit Überschwang; — zuviel des Guten. Der Überschwang wurde denn auch mit Fortdauer des Abends immer öfter zum Problem: der mangelnden Klang-Balance zwischen den einzelnen Orchestergruppen. Rustikal. Doch in keinem Takt langweilig. (Das gilt heute schon viel.)
VI.
Ich rechne diesen Abend zu den szenisch zu bejahenden und musikalisch interessanten einer Übergangszeit — der man die Wahrheit sagen soll.