Giuseppe Verdi: » Falstaff «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Direktor Roščić kehrte zur einst von Marco Arturo Marelli ersonnenen Produktion zurück. Marellis Arbeit ist bunt. Gleitet in vielen Szenen in Klamauk ab; nimmt den Figuren die Ernsthaftigkeit, welche für das Verständnis von Verdis und Arrigo Boitos Komik unerläßlich ist. Sir John Falstaff bleibt doch Ritter; — auch, wenn er heruntergekommen und übermäßigem Alkoholkonsum nicht abgeneigt ist. Ein in seiner sozialen Stellung wahrscheinlicher Vorläufer des Baron Ochs auf Lerchenau — wenn Marelli ihn denn ließe. Doch Kostümbildnerin Dagmar Niefind und der Regisseur geben Sir John in seinen Kostümen, seinen Gesten bereits zu einem Zeitpunkt der Lächerlichkeit preis, da Verdi die Ernsthaftigkeit der Figur nur mit einem Augenzwinkern bedenkt.
Dasselbe gilt für Ford, der, ganz Gentleman, Sir John Falstaff niemals dadurch erniedrigte, daß er in der Verkleidung als Signor Fontana den Inhalt der versprochenen Börse von diesem vom Boden auflesen ließe. Undenkbar auch, daß Ford einem seiner Mitbürger (oder gar einem Ritter) auch nur andeutungsweise einen Tritt in den Allerwertesten versetzte. Die Ford vom Regisseur verordnete Schusseligkeit läuft nicht nur seiner Charakterisierung zuwider. Solche Lächerlichkeit beschädigt auch die Damen (allen voran Alice, Fords Frau und, gleich Susanna, Dreh- und Angelpunkt der Handlung), deren Pläne und Ausführung in ihrer Größe.
Boito » borgte « mit der grandezza des Meisters: Prima voi
, das Finale des ersten Bildes im zweiten Akt, wenn sich Falstaff und Ford (in der Verkleidung als Signor Fontana) gemeinsam zu Alices Haus aufmachen, atmet Da Pontes und Mozarts Geist von Via resti servita, Madama brillante
, dem Duett zwischen Marcellina und Susanna. Doch in Marellis Inszenierung ist die Treppe zu schmal, als daß Falstaff und Ford sie nebeneinander hinaufsteigen könnten, der Effekt verpufft …
Dennoch bleibt unbestritten, daß Marelli ein Mann des Theaters ist; — selbst beim Einsatz überflüssiger Mittel in der letzten Szene, wo noch ein Prospekt aufgezogen, darunter noch rasch eine Tafel arrangiert werden muß, daran alle in Eintracht Platz nehmen. All dessen bedürft’s nicht.
Dafür setzen Niefind und Marelli die beiden Welten hübsch voneinander ab: hie die » bürgerliche «, grau und schwarz und in kalten Farben gehalten, da die lebenspralle Falstaffs in Gelb-, Orange-, Rot- und Brauntönen. Pistola (Ilja Kazakov) und Bardolfo — Daniel Kluge als Gast, über einen eigenen Bardolfo verfügen wir offensichtlich nicht in Wien —, beide als comprimarii nicht mehr als rollendeckend, scheitern so auch optisch beim Versuch des Seitenwechsels. Gehören im Ende weder der einen noch der anderen Welt an.
Gelungen, sehr schön stimmig auch das Bild im Windsor Park: fahler Mondschein über schwarzen Wipfeln, und Lichteffekte. Seien es nun die leuchtenden Seile, damit Nannetta in ihrer Verkleidung als Elfenkönigin Falstaff bindet, seien es die Irrlichter aus den Taschenlampen der in weißen Umhängen mit Klu-Klux-Klan-Mützen als Waldgeister Verkleideten.
III.
Wenig gelungen allerdings die musikalische Seite des Abends: Giampaolo Bisanti scheitert, Bühne und Graben in Einklang zu halten: Das Nonett-Finale des ersten Aktes mit den beiden gleichzeitig erklingenden Taktarten — die Damen im 6/8-Takt, die Herren alla breve notiert, das Orchester immer wieder wechselnd, so einmal die einen, dann die anderen stützend, lärmte vor allem. Wieder ging einer von Verdis musikalischen Scherzen verloren. (Es wird nicht der einzige bleiben an diesem Abend.) Ähnlich hörte sich die Schlußfuge — Tutto nel mondo è burla
— an: Zu wenig charakteristisch, zu leichtgewichtig waren die Stimmen der meisten Sänger, als daß sich der gewünschte Effekt einstellte.
Thomas Ebenstein mühte sich als Dr. Cajus, mit seinem Spieltenor in der ersten Szene über dem weitgehend fortissimo aufspielenden Orchester hörbar zu bleiben. Verdis dynamische Anweisungen, die vielerorts eine Zurücknahme ins piano oder pianissimo vorsehen, blieben ungelesen. Doch so kommt man (nicht nur) Verdis letzter Oper nicht bei.
IV.
Die Überraschung des Abends war mir Gerald Finley als Sir John Falstaff. (Und das nicht nur der hervorragenden Maske wegen.) Mit fließendem Ton, mit klarer Diktion und sehr guter Phrasierung zeichnete Finley ein wunderbares Portrait des Ritters. Solche Qualität war auch in der vermeintlich » guten, alten « Zeit nicht alltäglich. Mitleid mit Falstaff ist ja nicht geboten: Wie Papageno erweist er sich als » unprüfbar «, entzieht sich jeglicher Wertung.
Anders als Ford, der eigentlich Nasgeführte des Abends, gesungen von Boris Pinkhasovich. Er ist der Dritte im Bunde der Sänger — wiewohl nach den letzten Leistungen zu erwarten. Diesmal allerdings mit Einschränkungen: Pinkhasovichs Stimme klang, zumal am Beginn des Abends, gaumig, abgedunkelt. Fords große Szene (in der Verkleidung als Signor Fontana) litt unter der Unentschlossenheit des Mannes am Pult ebenso wie an einer gewissen Einförmigkeit des Vortrags. Pinkhasovich war Jeletzki — den Ford vermochte er sich noch nicht zu eigen zu machen.
Frédéric Antoun bot stimmlich als Fenton ebenso zuwenig wie zuvor als Alfredo. Mühte sich den ganzen Abend hindurch, klang oftmals gequetscht und eng, und das nicht nur in der Höhe. Ein Fenton besserer Qualität sollte doch im Ensemble zu finden sein, — oder?
V.
Von den Damen hinterließ Monika Bohinec als Mrs. Quickly den besten Eindruck. Voll und rund orgelte sie ihre Reverenza
. Ließ hören, was mit dem Einsatz der unteren Stimmfamilie an vokaler Präsenz zu gewinnen ist. Ja, hin und wieder brach die Linie, ja, es mögen in der Vergangenheit bessere Rollenvertreterinnen auf dieser Bühne gestanden sein. Doch im Vergleich mit ihren Kolleginnen war Bohinec eine Klasse für sich. (Die Vierte im Sängerbunde.)
Die Alice der Eleonora Buratto war stimmlich zu leichtgewichtig, als daß sie die ihr von Verdi und Boito zugedachte Rolle für ein aufmerksam zuhörendes Publikum erfüllen konnte. Es fehlte rundum am Volumen, welches nur durch die Einbindung des Brustregisters zu erzielen ist. Was blieb, war zu hellem Klang tendierender Gesang, mitunter bereits in der Mittellage eng, des öfteren wortundeutlich.
Vera-Lotte Boecker spielte die Nannetta als überdrehten Backfisch des 21. Jahrhunderts. Hopste, die Arme schwingend, über die Bühne. Schwer vorstellbar, daß ein Marelli solches Betragen im Sinn gehabt haben soll. Nun wöge all das wenig, gesellte sich dazu eine gute Gesangsleistung. Doch Boeckers Stimme scheint mir immer höhenlastiger, immer kleiner zu werden. Sie klang luftig, in der Höhe offen und, nicht nur in der Elfenszene, mitunter rauh und angestrengt.
Die Meg Page der Isabel Signoret erfreute durch Hübschheit.
VI.
Die Erkenntnis, daß es für Werke wie Falstaff der besten, wissenden Maestri bedarf, um Produktionen wie diese auch mit sparsamen Einsatz von Sänger-Stars zum Erfolg zu führen, hielt nicht lang vor. Was blieb? Eine musikalisch dürftige Vorstellung in einem stimmungsvollen Bühnenbild.
Doch das, so scheint’s, gilt heute als das zu erreichende Ziel.