Giacomo Puccini: »Tosca«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Im Feber 2019 war mir das internationale Rollen-Debut des Piotr Beczała als Mario Cavaradossi eine liebe Überraschung. An diesem Abend allerdings vermochte er nicht die damals gezeigte Leistung zu wiederholen. »Recondita armonia« wurde nicht mit jenem Vibrato vorgetragen, welches die Natur seinen italienischen Kollegen in die Gurgel legt; uns deren Stimmen so angenehm macht. Über dem passaggio verengte sich Beczałas Stimme, klang forciert, die Spitzentöne mit übermäßiger Kraft gesungen. Ähnliches begab sich beim »Vittoria!«; und bei »E lucevan le stelle«: Erst die — mir zu bereitwillig gewährte — Wiederholung klang so, daß ein bis überhaupt gerechtfertigt schien. Doch Beczała hat sich mit fortgesetzten, sehr guten Leistungen über Jahre in Wien jenen Status beim Publikum erarbeitet, welcher früher den ganz Großen vorbehalten war.
III.
Carlos Álvarez stellte sich in Wien erstmals als Baron Scarpia vor. Und wie! Zwar gebricht des Spaniers Stimme an jener Durchschlagskraft, welche seine Rollenvorgänger in längst hinabgesunkenen Zeiten auszeichnete; doch demonstrierte Álvarez, wie die Partie des römischen Polizeichefs legato gesungen werden kann. Eindrucksvoll. Sein Scarpia verfügte über jenen Samt, jene Weichheit im Ton, der seinem Tenorkollegen abgeht. »Ha più forte sapore«, die große Szene zu Beginn des zweiten Aktes, geriet zum musikalischen Höhepunkt der Aufführung. Zu diesem Zeitpunkt, dachte ich, der Abend sei vielleicht noch zu retten…
IV.
Ein Abend, dessen erster Akt schon Längen aufwies; gefährliche Längen... Die Ursache: Nina Stemme. Die Schwedin war den ganzen Abend über kein Zoll eine Floria Tosca. Ihre stimmliche Verfassung ab dem zweiten Akt: bemitleidenswert. Stemmes Gesang fehlte es ab dem passaggio an Klarheit: von chiaroscuro, von Wortdeutlichkeit, von legato keine Spur. Die Spitzentöne erklangen durchwegs zu hoch oder zu tief. Rohe Kraft wollte da über die Kunst triumphieren.
Das »Vissi d’arte« eröffnende, mittlere Sopran-›es‹ wackelte ebenso wie die Wiederholung zwei Takte später bedenklich, und vom Eindruck der die Arie beschließenden Spitzentönen, dem hohen Sopran-›b‹ und dem sich anschließenden ›as‹, will ich lieber schweigen.1 Ähnliches begab sich in Toscas Duett mit Cavaradossi im dritten Akt, wo Stemme, sich ihrer stimmlichen Verfassung offenbar bewußt, die Spitzentöne rasch abbrach. Allerdings — und dies das eigentlich Tragische — ist solches Tun nicht Ausdruck einer üblen Tagesverfassung, sondern Ergebnis jahrelang gepflegter, gesangstechnischer Unzulänglichkeiten. (Ich bemerkte dies bereits.) — Doch wie Tosca ohne Tosca spielen? Ohne dieses alle und alles verbindende Element kann die Oper nur Stückwerk bleiben…
V.
Kurz nach Beginn der Vorstellung war dann auch die Horngruppe vollzählig, und Marco Armiliato am Pult des Staatsopernorchesters leitete den Abend, so gut die Umstände es zuließen. Aber was nützt es, wenn die im Graben ausgesprochene Einladung zum gemeinsamen Gestalten auf der Bühne nicht angenommen wird? Da mögen sich das Cello und die Solo-Klarinette noch so anstrengen, no so fein klingen…
VI.
Diese Vorstellung konnte die in sie gesetzten Erwartungen kaum je erreichen. So stellt sich die Frage, ob dem Ruf des Institutes sowie allen Beteiligten nicht besser gedient wäre, aus den Aufführungen im Feber 2019 eine Fassung zu erstellen, die am 30. Juni 2019 in ORF III gesendet werden kann.
Der gestrige Abend jedenfalls: einer mit viel mehr Mängeln als Fehlern.
- Man vergleiche Stemmes Bemühen mit der (live aufgenommenen) Interpretation von Dusolina Giannini (1902 – 1986) aus einer Rundfunkübertragung aus dem War Memorial Opera House, San Francisco, vom 30. Jänner 1944. Giannini sang übrigens in den Jahren 1934 bis 1936 und danach nochmals 1949 auch an der Wiener Staatsoper.↵