» Capriccio «: Andrè Schuen (Olivier), Maria Bengtsson (Gräfin/Madeleine) und Daniel Behle (Flamand) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Capriccio «: Andrè Schuen (Olivier), Maria Bengtsson (Gräfin/Madeleine) und Daniel Behle (Flamand)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: » Capriccio «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Strauss’ letztes vollendetes Bühnenwerk (ein Konversationsstück in einem Akt) war nie ein Publikumsrenner. Dafür ist die Handlung zu artifiziell, der Text zu satirisch, das Libretto zu intellektuell und die Musik zu sehr mit hintergründigen Anspielungen sonder zahl gespickt. Was wunder, daß bei der musikalischen Neueinstudierung an der Wiener Staatsoper Lücken im Publikum klafften.
Doch der Abend bot Solides. (Immerhin.)

II.
Entstanden während des Grauens des Zweiten Weltkrieges, dreht sich alles um die Frage der Vorherrschaft der Musik oder des Wortes in der Oper. Darüber verhandelt wird im Schloß der Gräfin Madeleine und ihres Bruders, dem Grafen, in der Nähe von Paris zur Zeit von Gluck’s Opernreform (ehe er dann seine Zelte in Wien aufschlug). Ein Vexierspiel läuft vor unseren Augen ab: Nichts ist, was es scheint.

Längst schon war der Opportunist Strauss bei den NS-Machthabern in Ungnade gefallen, löckte gemeinsam mit dem Münchner Operndirektor Clemens Krauss wider den Stachel der vom Regime verordneten seichten Unterhaltung. Ein Seitenhieb auf schlechtes Theater, der Melodie abgeschworen habende, neue Werke und die italienische Oper jagt den anderen. Vieles, das thematisiert wird, scheint uns auch heute gültig, mehr noch: wahr. Wird in einschlägigen Zirkeln ebenso erregt debattiert wie damals.

III.
Marco Arturo Marelli ersann für die Première im Jahr 2008 ein sich am Rokoko orientierendes Ambiente. Die Kostüme von Dagmar Niefind zitieren jene Zeit: Madeleine, Flamand und Olivier in geteilten Kostümen für die Pole Wort und Musik. Erst im Schlußmonolog ist Madeleine frei: Ihre silbrige Robe verrät uns schon beim Auftritt, daß keiner der verliebten Feinde das Rennen machen wird.

Die vor allem im ersten Teil rege Drehbühne sowie arrangierbare Bühnenelemente erlauben rasche Szenenwechsel ohne Umbaupausen. Und, anders als im Falstaff, widersteht Marelli die meiste Zeit dem Abgleiten in Klamauk. Er erzählt das Stück, ohne daß das Publikum einer Übersetzungstabelle oder einführender Texte bedarf. Das gilt mehr, viel mehr, als die meisten Spielvögte heute zustandebringen.

IV.
Philippe Jordan dirigierte bereits die Première im Juni 2008. Nun kehrt er zurück ans Pult, als Musikdirektor des Hauses. Doch wenn ein Dirigent glaubt, in Wien das einleitende Streich-Sextett dirigieren zu müssen; wenn dem Trio auf der Bühne (Daniel Froschauer, Raphael Flieder und Annemarie Herfurth) jedes tempo rubato, jede Tempomodifikation verwehrt wird: Dann erzählt dies Wissenden mehr über Jordans Leistung, als diesem lieb sein kann.

Dann bedarf’s kaum mehr der Mitteilung, daß sich in Monsieur Taupes Szene (Thomas Ebenstein mit heute typischem Spieltenorklang) ein Paar direkt hinter dem Dirigenten erhob und die Vorstellung verließ. Sie waren nicht die einzigen; und sie waren nicht die ersten. Denn immer wieder versanken die Stimmen im Orchesterklang; — wo doch in Capriccio jedem Wort, jeder Silbe eine Bedeutung innewohnt. Jordans Musizieren, die Gestaltung der jeweils nächsten Phrase sind im voraus ahnbar: So macht sich Langeweile breit. (Als fürchtete der Dirigent den Kontrollverlust wie der Teufel das Weihwasser.) Wohin sind die Zeiten, als tempi rubati noch selbstverständlich und nicht geächtet waren? Jordans Tun: nicht mehr als eine solide Leistung. Doch solche, noch dazu in fortgesetzter Folge, scheint mir für den Musikdirektor eines Hauses zuwenig.

» Capriccio «: Adrian Eröd, vormals oft Olivier, erstmals in der Partie des Grafen © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Capriccio «: Adrian Eröd, vormals oft Olivier, erstmals in der Partie des Grafen

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Die Sänger der wichtigsten Partien gaben ihre Rollen-Debuts an der Wiener Staatsoper. Daß die meisten besser, oft lustvoll, agierten denn sangen, stellt eines der zentralen Probleme der Kunstform Oper im 21. Jahrhundert dar.

Adrian Eröd stieg zum Grafen auf: köstlich, wie er den amüsierten Bruder der zwiefach angebeteten Madeleine spielt; seinen Text rezitiert. Man erhält über den Zustand einer Stimme auch beim Sprechen Bericht: wortdeutlich Eröds Gesang, keck. Niemals gehen seine Einwürfe ihrer Linie verlustig.

Andrè Schuens Stimme für Olivier, den Dichter, klingt dunkel. Das dient der Gestaltung der Gesangslinie nicht immer, denn diese bricht zu oft, als einem lieb sein kann. So bleibt manches ungehört, die Stimme in den Ensembles zuwenig präsent. (Der Konversationston des Grafen, wie 2016 im Theater an der Wien, lag ihm besser.) Der Flamand des Daniel Behle — auch er bereits 2016 an der Wien nicht mehr als solide — bleibt zu sehr im Spielton verhaftet; wagt sich nicht ins Lyrische wie die besseren seiner Rollenvorgänger.

Christof Fischesser ist ein polternder La Roche mit stimmlichen Problemen: Immer wieder wechseln laute mit leisen Silben (und damit der Stimmdruck), wo doch die gesangliche Linie aufrechtzuerhalten gewesen wäre. So verpuffen viele seiner witzigen Einwürfe (weil teilweise ungehört). Das (versteckte) Zentrum des Stücks, La Roche’s große Ansprache, klingt zu einsilbig, zuwenig akzentuiert. Ist, die Stimme zeigt bereits Ermüdungserscheinungen, zuwenig durchgearbeitet, als daß wir seinem Plädoyer mit jener Aufmerksamkeit lauschen, welche den Autoren Anliegen war. (Erinnert sich noch jemand Kurt Rydls?)

Johanna Wallroth und Hiroshi Amako statten die Italienische Sängerin, den Italienischen Tenor mit Stimmen aus, welche an eine Parodie denken lassen. Doch diese sollte aus dem Widerspruch zwischen (traurigem) Text und (fröhlicher) Musik erwachsen, aus dem Gegensatz des Addio, mia vita und einer Melodie, welche absolut nicht zu den Worten paßt (wie Strauss an Krauss schrieb). Aber nicht aus gesanglichen Unzulänglichkeiten.

Die Schauspielerin Clairon, verflossene Geliebte Oliviers und zukünftiges Verhältnis des Grafen, ward Michaela Schuster anvertraut. Auch Schusters Stimme erzählt ungefragt von den Seitensprüngen ihrer Sänger-Karriere. Alles klingt angestrengt, länger auszuhaltende Noten flackern bedenklich. Sociétaire der troupe de la Comédie-Française wird man mit solcher Leistung nicht …

Und die Gräfin? Madeleine? Maria Bengtsson gab sie bereits 2016, im Theater an der Wien. Heute wie damals fehlt es an der Aktivierung der Bruststimme. Wie schon als Contessa d’Almaviva fast tonlos das untere Register, wenig textdeutlich: sohin wenig Volumen in der oberen Mittellage und der Höhe. (Die verschiedenen Partien, sie ändern halt nix an den Sachen.) Dieser Stimme fehlt das Fundament. Die Folge: Madeleines abschließender Monolog gerät langatmig; uninteressant. Es ist der Haushofmeister des Marcus Pelz, der uns, zu spät, erlöst: Frau Gräfin, das Souper ist serviert.

VI.
Solide. Weil eines das Werk kennt. Weil der Text wiederkehrt, wenn eines lauschend im Theater sitzt. Weil Strauss’ unzählige musikalische Anspielungen mehr intellektuelles Vergnügen denn Berührtheit bereiten. — Doch werden solide Abende ausreichen, der Staatsoper Publikum (wieder) zu gewinnen?

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