Carl Maria von Weber: »Euryanthe«
Theater an der Wien
Von Thomas Prochazka
II.
Auch auf Christof Loy ist Verlaß. So sehr man sich auch bemühte, kaum wird man ihm je eine Ort und Zeit der Handlung respektierende Produktion zum Vorwurf manchen können. Auch diesmal wich die Verwunderung, daß der Abend vor geschlossenem Vorhang anhub, noch während des langsamen Teiles der Ouverture der Beruhigung, das richtige Etablissement aufgesucht zu haben: Eine »Familienaufstellung« der handelnden Personen war der Loy-Jünger Lohn.
In einer weiß und hellgrau gestrichenen, holzgetäfelten Galerie, welche die komplette Bühnentiefe einzunehmen schien, mit einer Fensterfront an der linken Seite, stand bzw. lag man auf einem vorne rechts plazierten Bett, lehnte an einem nußfarbenen Stutzflügel oder räkelte sich auf einem Stuhl (Bühnenbild — wie immer, bin ich versucht zu berichten —: Johannes Leiacker).
III.
Helmina von Chézys Libretto geizt nicht mit romantischen, uns heute aus der Zeit gefallen scheinenden Texten. Auch schien die am Hofe Ludwig VI. (1081 – 1137) spielende Geschichte von Euryanthe und ihrem Liebhaber Adolar dem Spielvogt zu schwach. Flugs verlegte er sie aus dem Frankreich des frühen 12. Jahrhunderts in ein Irgendwo der späten 1950-er Jahre. Dies führt in der Folge zu absurden Situationen: Wieder erlebte ich einen König, dem man ungestraft auf die Schulter fassen durfte. Ritter, welche sich beim Herannahen ihres Monarchen (und Herrn) im Bette räkeln. Einen Ringkampf zwischen den Grafen Lysiart und Adolar, der mit dem königlichen Befehl, die Schwerter (!) fallen zu lassen, endete. Den Kampf Adolars mit einer Schlange, welcher sich im Nebenzimmer zutrug. Und, nicht zu vergessen, Euryanthe, von Adolar in der Wildnis der das Bühnenbild vorstellenden Galerie zurückgelassen. (»Belieben Euer Gnaden in der Galerie zu warten!«)
IV.
Die Leistung des Arnold Schoenberg Chor gereicht seinem Ruf abermals zur Ehre. Daß Loy mit Menschenmassen nichts anzufangen weiß, stellt für getreue Beobachter des Betriebes keine Neuigkeit dar. Die Damen und Herren des Chores müssen immer getrennt auftreten, hin und wider eilen (um »Spannung« zu erzeugen?), der flintenlose Jägerchor sich sogar in Reih und Glied längs einer aufgemalten Markierung präsentieren. Es lebe die kenntnisreiche, individuelle Personenführung der Massen.
Loy läßt — eines seiner Markenzeichen, dies! — immer wieder Personen der Handlung Geistern gleich auf der Bühne erscheinen. Jene, welche die Szene zu bestreiten haben, scheinen die Herumirrenden jedoch nicht zu sehen. Solche Vorgehensweise erleichtert dem Publikum nicht nur das Verfolgen der Handlung, sie gönnt auch den Sängern jene Ruhepausen, welchen jene nach anstrengenden Szenen bedürfen. Man erkennt gleich: Hier ist ein Fachmann zugange. So soll, nein, so muß es sein.
V.
Á propos »Fachmann«: Judith Weihrauch entwarf die Kostüme. Kleidete Eva-Maria Neubauer, die Herzogin von Burgund (eine stumme Rolle) und die Damen des Arnold Schoenberg Chors in Cocktail- und Abendkleider im Stil der späten 1950-er Jahre. Was es da zu sehen gab, ließ das Herz so mancher Besucherin höher schlagen: Viele dieser Kleider zögen selbst bei Festspiel-Premièren die Aufmerksamkeit der Paparazzi auf sich. Auch Euryanthes große, ganz in weiß gehaltene Robe für das Finale erinnerte in ihrer Eleganz und Opulenz an Kreationen eines Christian Dior.
VI.
Musik gemacht wurde auch an diesen Abend. Constantin Trinks leitete das ORF Radio-Symphonieorchester Wien und bewies, daß man auch einen an zeitgenössischer Musik geschulten, äußert flexibel agierenden Klangkörper laut und manchmal grob klingen lassen kann. Das Theater an der Wien mit seinem kleinen und, Wiens Opernfreunde wissen es, akustisch heiklen Raum sowie der direkten Klangausbreitung stellt für viele Ensembles und Dirigenten eine nicht zu meisternde Herausforderung dar. Kaum einer der Maestri schafft es, das Orchester so zu dämpfen, daß nicht Lärm (und in weiterer Folge forcierende Sänger) Ergebnisse kapellmeisterlichen Wirkens werden. Trinks bildet da keine Ausnahme.
Die Ouverture gab schon den Rahmen vor. Rasches klang gehetzt, Langsames geschleppt: — das RSO Wien als Kurkapelle… Eine feinere Abstimmung, mehr Rücksichtnahme auf die Sänger hätte notgetan. So forcierten alle fröhlich vor sich hin… Der Klang übersungener Stimmen war der Anstrengung Lohn. Ein Schelm, wer dabei noch an legato und portamento denkt.
VII.
Norman Reinhardt eröffnet den Arienreigen mit »Unter blüh’nden Mandelbäumen«. Immer noch wird er im Programmheft als »einer der führenden Tenöre des Belcanto-Fachs« angepriesen. Immer noch — wie schon in Maria Stuarda — reicht Reinhardts Stimmkraft nur bis zum passaggio. Klingt die Stimme darüber dünn, die Spitzentöne aufgesetzt, mangelt es an bewußt eingesetzter Farbe und Dramatik.
VIII.
Da war der Graf Lysiart des Andrew Foster-Williams von anderer Statur. Das weiß ich, weil Foster-Williams, einer Caprice, nein, Dummheit, des Spielvogts gehorchend, seine große Szene am Beginn des zweiten Aktes — »Wo berg’ ich mich? … Schweigt, glüh’nden Sehnens wilde Triebe« — völlig entblößt vortrug. (Ohne sich eine Blöße zu geben.) Foster-Williams Baßbariton hinterließ einen günstigeren Eindruck als sein tenoraler Gegenspieler. Der Wechsel zwischen den ausgedehnten Rezitativen und den legato vorzutragenden Passagen bereitete jedoch auch ihm Schwierigkeiten, offenbarte gesangliche Schwächen. Interessant auch, daß Weber in der Euryanthe keinen hohen Bariton einsetzt, Foster-Williams in seiner Arie »nur« ›es1‹ abverlangt.
IX.
Stefan Cerny sang und spielte Ludwig VI. Die Geschichtsbücher geben uns auch Kunde über seine Beinamen: »le Gros« (»der Dicke«) bzw. »le Batailleur« (»der Krieger«). Loy verweigert Cerny beides. Stimmlich bot das Ensemble-Mitglied der Wiener Volksoper die vielleicht beste Leistung des Abends. Wie schon anläßlich seiner Auftritte in der vorjährigen Maria Stuarda-Produktion angemerkt, eignet Cerny ein gerader Ton. Allerdings klingt sein Gesang immer ein wenig ungezügelt. Eher dem forte denn dem piano zugeneigt. Läßt jene Noblesse im Ton, jene Linie missen, welche einen Herrscher auszeichnet. Und einen ersten Baß.
X.
Theresa Kronthaler versucht in der Partie der Eglantine, gesangliche Defizite durch Spiel wettzumachen. Das gelingt naturgemäß nur bedingt. Wir mögen uns heute an fehlende Linienführung und Mängel in der Phrasierung gewöhnt haben; verborgen bleiben sie dem aufmerksam lauschenden Ohr nicht. Den unterentwickelten Registerausgleich teilt Kronthaler mit vielen ihrer Fachkolleginnen: Als Folge stellen sich hell-timbrierte Töne im Kopf- und abgedunkelte im Brust-Register ein, ohne daß eine organische Verbindung der beiden Stimmfamilien erfolgt.
XI.
Jacquelyn Wagner stand als Euryanthe auf der Bühne. Wagner begann den Abend vielversprechend, mit geradem Ton und Ansätzen von legato. Mit Fortdauer der Vorstellung allerdings verloren die Rezitative an Dringlichkeit, waren die technischen Mängel nicht mehr zu leugnen: Die Höhen klangen hell und abgesetzt von der Mittel- und tiefen Lage. (Auch dies ist heute eher die Regel denn die Ausnahme.)
Weber schrieb in seiner Euryanthe sehr fordernd für die Stimmen. Die tessiture einzelner Phrasen liegen oftmals im passaggio, erfordern dauernden Vokalausgleich. Den aber konnte (oder wollte) Wagner nicht bieten. So blieb das Potential dieser Partie unausgeschöpft.
XII.
Roland Geyer darf sich zugutehalten, Euryanthe eine Bühne geboten zu haben. Hätte er doch bloß nach einem Spielvogt Ausschau gehalten, welcher Frankreich im Mittelalter von einem Irgendwo der 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu unterscheiden vermag…