Ballettdirektor Manuel Legris, Direktor Dominique Meyer und Thomas W. Platzer, der kaufmännische Geschäftsführer, bei der Vorstellung des Spielplans für die Saison 2019/2020 © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Ballettdirektor Manuel Legris, Direktor Dominique Meyer und Thomas W. Platzer, der kaufmännische Geschäftsführer, bei der Vorstellung des Spielplans für die Saison 2019/2020

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Wiener Staatsoper:
Zur Spielzeit 2019/2020

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Auch in seiner letzten Spielzeit als Direktor der Wiener Staatsoper setzt Dominique Meyer bei den Neuproduktionen auf Erweiterungen des Repertoires bzw. die Rückkehr von seit längerem nicht mehr am Spielplan stehenden Werken.

Für die kommende Saison kündigte Meyer folgende Neuproduktionen und Wiederaufnahmen an: Benjamin Brittens A Midsummer Night’s Dream (2. Oktober 2019), Olga Neuwirths Orlando (Uraufführung, 8. Dezember 2019), Ludwig van Beethovens Leonore (Februar 2020), Gioachino Rossinis Guillaume Tell (April 2020), Wolfgang Amadeus Mozarts Così fan tutte (Mai 2020), Giuseppe Verdis Un ballo in maschera (Juni 2020) sowie für Ballettfreunde Jewels von George Balanchine (2. November 2019).

Unbeirrt verfolgt der Hausherr sein Konzept, nach den ihm geboten scheinenden Erweiterungen des Repertoires auch jüngeren Werken Raum zu geben. So bilden Opern des 20. und 21. Jahrhunderts einen weiteren Schwerpunkt der Spielzeit: Neben Neuwirths Orlando kehren Peter Eötvös’ Tri sestri (am 12., 14. und 17. März 2020) in der Interpretation von Yuval Sharon und der kundigen musikalischen Leitung des Komponisten (Bühnenorchester: Jonathan Stockhammer) ebenso auf den Spielplan zurück wie Die Weiden von Johannes Maria Staud/Durs Grünbein oder Hindemiths Cardillac (ab 2. April 2020) mit Michael Boder am Pult.

II.
Wer fehlt? Dies die erste Frage des Wiener Opernfreundes. Wer fehlt also? Jonas Kaufmanns Anhängern muß das Programm der Wiener Oper in den nächsten Spielzeit keine Reise wert sein. Auch die Freunde der Gesangskunst von Elīna Garanča werden sich mit einem Besuch in Gött­weig — so Gott will auch: »unter Sternen« — zu trösten wissen.

Anna Netrebko schaut am 12. Juni 2020 auf einen Sprung für einen Liederabend vorbei (am Klavier: Elena Bashkirova). Daß man in Wien wohnt, heißt noch lange nicht, daß man hier auch Oper singt. Das überläßt die Österreicherin lieber ihrem Mann. Man heißt dies Arbeits­teilung. Yusif Eyvazov will als Radamés mit 21 hohen ›b‹ an einem Abend überzeugen. Die ihn umwerbenden Damen sind Sondra Radvanovsky und Ekaterina GubanovaAmbrogio Maestri wird väterlichen Druck ausüben, Marco Armiliato am Pult der Vorstellungen von Giuseppe Verdis Aida am 9., 13. und 16. Juni 2020 hoffentlich für die notwendige Italianità sorgen.

III.
Wer kommt? Plácido Domingo. — Seine Anhänger werden gewiß am 25. Oktober 2019 das Haus bevölkern, wenn der Ex-Tenor und Neo-Bariton sein Rollen-Debut im Haus am Ring in Verdis Macbeth gibt. Ihm zur Seite Wiens Lady vom Dienst, Tatiana Serjan, Ryan Speedo Green als Banquo und Jinxu Xiahou als Macduff. Weitere Gelegenheiten gibt es am 28. Oktober und 1. November. Für den 14. und 17. Juni 2020 holt man noch einmal schnell die Kulissen der von Günter Krämer verantworteten Inszenierung von Nabucco aus dem Depot. Domingos Partner an jenen Abenden sollen (wiederum) Tatiana Serjan, Roberto Tagliavini und Jinxu Xiahou als Zaccaria sein. Guillermo García Calvo wurde dazu berufen, die Verbindung zwischen Graben und Bühne sicherzustellen.

In den Tagen danach soll Domingo die musikalische Leitung von La traviata übernehmen, wohl vor ausverkauftem Hause.
Pecunia non olet. 

IV.
Zur Saisoneröffnung am 4. September 2019 gibt man Giuseppe Verdis La traviata. Ohne Domingo, aber dafür mit Irina Lungu, Charles Castronovo, Thomas Hampson und Gianpaolo Bisanti am Pult. Eine zweite Serie mit Aida Garifullina, Benjamin Bernheim und Simon Keenlyside ab 20. Juni 2020 mit Plácido Domingo im Graben soll wohl die Opernfreunde im beginnenden Sommer noch einmal ins Haus am Ring strömen lassen.

Für den 5. September 2019 (weitere Vorstellungen am 8., 11. und 15. September) reaktiviert die Wiener Staatsoper anläßlich des 200. Geburtstages von Jacques Offenbach Les contes d’Hoffmann in der surrealen Inszenierung von Andrei Serban aus dem Dezember 1993. Olga Peretyatko wurde, wie sie ihren Fans via Facebook bereits mitteilte, für die Partien der Olympia, Antonia und Giulietta engagiert.1 Nun wissen wir auch, daß Yosep Kang den Hoffmann singen soll. Gaëlle Arquez ist als die Muse/Niklausse angekündigt, Luca Pisaroni übernimmt die vier Bösewichte, Michael Laurenz die Gehilfen. Frédéric Chaslin singt nicht, er dirigiert die Chose.

Peretyatko wird auch die Mathilde in der Wiederaufnahme der von David Pountney stammenden Interpretation von Rossinis Grand Opéra Guillaume Tell aus dem Jahr 1998 übernehmen (Wie­der­aufnahme am 30. April 2020, weitere Vorstellungen am 3., 7. und 10. Mai). An Peretyatkos Seite singen Maria Nazarova die Jemmy, Juan Diego Flórez den Arnold, Christopher Maltman den Guillaume Tell und Adam Plachetka den Gesler. Die musikalische Leitung wurde, ein besonderes Gustostückerl, Michele Mariotti anvertraut.

V.
Auch Giuseppe Verdis Don Carlo steht in der kommenden Spielzeit am Programm: Am 6., 9. und 12. September 2019 soll sich das Schicksal des Infanten wieder im Haus am Ring erfüllen. Und die Besetzung ist dazu angetan, die Sommerfrische früher zu verlassen: René Pape, Fabio Sartori, Simon Keenlyside, Dmitry Ulyanov sowie Anja Harteros und Elena Zhidkova wurden zu Verdis Umsetzung des Schillerschen Epos verpflichtet. Jonathan Darlington ist aufgerufen, den Abend musikalisch zu gestalten.

Ebenfalls noch im September (am 19., 22. und 25.) lockt die Staatsoper zu Il trovatore, Unter der musikalischen Leitung von Alberto Veronesi verlegen Roberto Frontali (Conte di Luna), Michelle Bradley (Leonora), Monika Bohinec (Azucena), Fabio Sartori (Manrico) und Jongmin Park (Ferrando) Verdis Meisterwerk wieder in den Spanischen Bürgerkrieg von 1936. In einer zweiten Serie (am 19., 22., 26. Juni 2020) werden George Petean, Marina Rebeka, Anita Rachvelishvili, Gregory Kunde, Ryan Speedo Green und Marco Armiliato ihr Glück versuchen, das Publikum über Verdis Melodien die krausen Ideen des Spielvogt Daniele Abbado vergessen zu lassen.

VI.
Die erste Neuproduktion der neuen Saison gilt Benjamin Brittens A Midsummer Night’s Dream (Première am 2. Oktober 2019). Brittens Werk war, ältere Opernfreunde entsinnen sich, von 1962 bis 1964 in einer Produktion von Werner Düggelin an der Wiener Staatsoper zu erleben. Es singen Lawrence Zazzo, Erin Morley, Théo Touvet, Peter Kellner, Szilvia Vörös, Josh Lovell, Rafael Fingerlos, Rachel Frenkel, Olga Bezsmertna, Peter Rose und Benjamin Hulett. Die musikalische Leitung wurde Simone Young anvertraut. Ihre Regie-Partnerin ist Irina Brook, welche auch Gaetano Donizettis Don Pasquale im Haus am Ring szenisch verantwortete. (Man darf gespannt sein, ob dem Haus am Ring Fortuna holder ist als dem Theater an der Wien. Da führ­te Damiano Michielettos Verlegung des Stoffes in ein Internat Shakespeares Vorlage im April 2018 ja ad absurdum.)

So Gott will — und man hofft es, als Opernfreund — kehrt uns Peter Schneider am 6., 8. und 11. Ok­tober 2019 für Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos ans Dirigentenpult zurück. Schneider hätte die Freude, ein bewährtes Ensemble zu leiten: Peter Matić, Jochen Schmeckenbecher, Kate Lindsey, Stephen Gould, Hila Fahima, Adrianne Pieczonka und Thomas Ebenstein

VII.
Am 10. Oktober 2019 (auch: 14. und 18.) kehrt Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss nach der Première im Mai für ein weitere Serie zurück. Christian Thielemann wird dirigieren, Andreas Schager die Partie des Kaisers übernehmen. In den weiteren Partien sind Camilla Nylund, Nina Stemme und Tomasz Konieczny angekündigt.

Thielemann wird die Wiener Philharmoniker auch im November 2019 auf ihrer jährlichen Japan-Tournée leiten. Gelegenheit, in Wien Les Talens Lyriques und Christophe Rousset für Auf­führungen von David McVicars Sichtweise auf Georg Friedrich Händels Ariodante (8., 11., 13. und 15. November 2019) in den Graben zu bitten. Max Emanuel Cenčić wird als Lichtblick der Bese­tzung den Polinesso singen. Die weiteren Partien werden mit Stephanie Houtzeel, Chen Reiss, Hila Fahima, Josh Lovell und Peter Kellner aus dem Haus besetzt. (Barockes Spar­programm.)

Ebenfalls im November (7., 9. und 12.) kehren in Einlösung des kulturpolitischen Auftrages der Institution Die Weiden von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein an die Wiener Staatsoper zurück.2 Graeme Jenkins löst Ingo Metzmacher am Pult ab, Maria Nazarova Andrea Carroll als Kitty, Jörg Schneider Herbert Lippert als Leas Vater. In allen anderen Partien agieren die Sänger der Uraufführung. Ob weitere Aufführungen dem Haus geringere Verluste als im Dezember 2018 (immerhin rund EUR 60.000 je Folgevorstellung gegenüber den budgetierten Einnahmen) bescheren werden, darf bezweifelt werden. Die Weiden: gewogen und für zu leicht befunden. — Auch wenn Dominique Meyer den Berichterstattern in der Sendung »Kultur heute« am 28. De­zember 2018 die Fähigkeit zur Beurteilung nach einmaligem Hören absprach. (Bedarf es pro­phe­tischer Fähigkeiten, um festzustellen, daß sich das Schicksal von Rossinis Il barbiere di Siviglia diesfalls nicht wiederholen wird?)

À propos Uraufführung: Am 8. Dezember 2019 wird das Haus am Ring Olga Neuwirths Oper Orlando präsentieren (weitere Vorstellungen am 11., 14., 18. und 20. Dezember). Matthias Pintscher ist die musikalische Leitung anvertraut, er soll Kate Lindsey, Fiona Shaw, Eric Jurenas, Constance Hauman, Leigh Melrose, Vivian Bond und Agneta Eichenholz durch das Werk führen. Karoline Gruber zeichnet für die Szene verantwortlich. Ob sich die Schicksale von Orlando und Die Weiden gleichen werden? (Denn auslastungsmäßig, darüber kann kein Zweifel bestehen, wird auch Orlando ein Erfolg sein.)

VIII.
Nach den bereits traditionellen Feiertagsvorstellungen von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel und Die Fledermaus von Johann Strauss (mit zwei »s«) setzt die Staatsoper um den Jah­res­wechsel Le Corsaire in der Choreographie von Manuel Legris auf den Spielplan. Am Christ­tag wird Marco Armiliato die letzte Vorstellung einer Serie von La bohème leiten, mit Saimir Pirgu, Anita Hartig, Marco Caria und Mariam Battistelli (19., 22. und 25. Dezember 2019). Die Zeiten der prunkvollen, erstklassig besetzten Weihnachts-Premièren: In Wien scheinen sie vorbei.

IX.
Der Jänner 2020 (9., 12., 16. und 19. Jänner) bringt Zünftiges: eine weitere Serie von Richard Wagners Lohengrin in der mißglückten Wirtshausinszenierung von Andreas Homoki. Was dies­mal anders ist? Eine Besetzung, die neugierig macht: Mit Valery Gergiev am Pult treten Piotr Beczała, Cornelia Beskow, Egils Siliņš, Linda Watson als Ortrud und Boaz Daniel an, den Nachweis zu erbringen, daß eine ausgezeichnete musikalische Darbietung selbst szenisches Miß­geschick vergessen machen kann. »Oans, zwoa, g’suffa!” (© Renate Wagner im »Online-Merker” vom 24. Oktober 2018.)

Und — von der Anlage her — eigentlich Lyrisches, hätte man nicht Sven-Eric Bechtolf die szenische Leitung überantwortet: Antonín Dvoráks Rusalka. Tomáš Hanus wird die Abende am 30. Jänner, 2., und 4. Februar 2020 leiten, Piotr Beczała, Elena Zhidkova, Jongmin Park, Olga Bezsmertna und Monika Bohinec ihr Möglichstes tun, in dieser Wüste aus Eis und Schnee Gefühle aufkommen zu lassen…

X.
Mit der Première von Ludwig van Beethovens Leonore am 1. Februar 2020 (auch am 5., 8., 11., 14. Februar) reiht sich auch die Wiener Staatsoper in die Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag des in Bonn geborenen, aber von Wien annektierten Komponisten ein. Tomáš Netopil dirigert, Amélie Niermeyer — Wiens Opernfreunde erinnern sich sicher an die mißglückte Elisabetta von Gioachino Rossini im März 2017 im Theater an der Wien — inszeniert, Jennifer Davis, Benjamin Bruns, Tobias Kehrer, Thomas Johannes Mayer, Jörg Schneider und Chen Reiss treten an, die Erstfassung (1804) von Beethovens einziger Oper gebührend zur Diskussion zu stellen.

Wer Leonore kennt (bzw. anläßlich der semi-konzertanten Aufführungen bei den Salzburger Festspielen 1996), wird schwer umhinkommen, die Sinnhaftigkeit einer szenischen Realisierung an einem Repertoire-Haus anzuzweifeln. So interessant des Werkes Genese für Mu­sik­wissen­schaftler sein mag: Die von Joseph Sonnleithner überarbeitete Fassung des Fidelio wirkt kompakter, stringenter und von jenem tauben Gestein befreit, welches auch Verdis französische Urfassung des Don Carlos nicht abzusprechen ist. (Man vergleiche nur die zweite Fas­sung der Leonoren-Ouverture, op. 72b, mit der Nummer 3, in Wien fixer Bestandteil jeder Fidelio-Aufführung.) Hätten es da nicht konzertante Aufführungen auch getan?

Fidelio steht übrigens auch am Spielplan der Wiener Staatsoper: »nach einer Inszenierung« von Otto Schenk im Bühnenbild »nach Entwürfen« von Günther Schneider-Siemssen (ab 22. April 2020), mit Tomasz Konieczny, Andreas Schager, Simone Schneider und Günther Groissböck. Ádám Fischer wird in bewährter Manier das Publikum zu zügeln wissen, wenn es vor dem letz­ten Bild darum geht, für die dritte Leonoren-Ouverture, die Apotheose der Gattenliebe, Stille im Rund zu fordern. Immerhin: eine Einladung an das interessierte Publikum, die beiden Fassungen live miteinander zu vergleichen.

À propos Andreas Schager: Alternierend zu den Vorstellungen von Die Weiden wird Schager am 10., 13., 15. Dezember 2019 den Tamino in Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte singen. Eine durchaus interessante Idee. Jongmin Park ist Sarastro, Andrea Carroll singt die Pamina, Rafael Fingerlos den Papageno und Aleksandra Jovanovic die Königin der Nacht

XI.
Im März 2020 werden sich die Wagner-Freunde zum traditionellen Zyklus des Ring des Nibelungen versammeln (15., 18., 22. und 28. März). Ádám Fischer wurde einmal mehr die musikalische Leitung anvertraut. Nina Stemme wird als Brünnhilde zurückkehren, Andreas Schager sich dem Wiener Publikum als Siegmund vorstellen. Tomasz Konieczny ist einmal mehr Wotan, Stephen Gould sein Enkelkind. Die Fricka teilen sich Sophie Koch (Das Rheingold) und — man staune! — Elisabeth Kulman (Die Walküre). Ain Anger singt den Hunding, Simone Schneider die Sieglinde, Eric Halvarson den Hagen. Waltraud Meier kehrt uns als Waltraute wieder, Norbert Ernst als Loge, Leigh Melrose komplettiert das Ganze als Alberich.

Weiters steht am 21. und 25. März 2020 Rossinis La Cenerentola am Spielplan: jene lieblose Produktion des Sven-Eric Bechtolf, welche seit Jahren mit ebensolcher Lieblosigkeit besetzt wird. Auch die von der Papierform her besser besetzte Jänner-Serie (18., 22. und 25., mit Antonino Siragusa, Orhan Yildiz, Alessandro Corbelli, Margarita Gritskova und Roberto Tagliavini) vermag an diesem Umstand wenig zu ändern.

XII.
Die Vorstellungen von Camille Saint-Saens Samson et Dalila leiten den April ein (29. März, 1., 4. und 7. April 2020). Man darf gespannt sein, ob Anita Rachvelishvili und José Cura endlich im zweiten Akt die Badewanne einweihen werden. Oder ob Clemens Unterreiner als Oberpriester des Dagon vorher einschreiten wird. Frédéric Chaslin ist jedenfalls dazu berufen, diese Abende musikalisch zu einem guten Ende zu bringen (was schwer genug sein dürfte).

Freunden der Arbeit von Jean-Louis Martinoty sei der Besuch einer der Vorstellungen von Wolfgang Amadeus Mozarts Le nozze di Figaro (27., 30. März sowie 3. und 6. April 2020) ans Herz gelegt; mit Speranza Scappucci, Alessio Arduini, Olga Bezsmertna, Valentina Naforniță, Adam Plachetka, Rachel Frenkel und — Überraschung! — Angelika Kirchschlager als Marcellina. Es wird dies die letzte Gelegenheit sein, diese so französische Interpretation zu sehen, denn Gerüchten zufolge beabsichtigt Bogdan Roščić ab der Spielzeit 2020/21 die Wiedereinsetzung der Produktion von Jean-Pierre Ponnelle aus dem Mai 1977.  

XIII.
Im April 2020 präsentiert Dominique Meyer — neben der Wiederaufnahme des Guillaume Tell — Richard Strauss‘ Der Rosenkavalier (13., 16. und 19. April 2020) mit Alain Altinoglu, Camilla Nylund, Sophie Koch, Chen Reiss und Lars Woldt als hoffentlich nicht zu sehr polterndem Lerchenauer.

Nicht vorstellbar sind Ostern an der Wiener Staatsoper ohne Aufführungen von Richard Wagners Parsifal. Für die musikalische Direktion der letzten Parsifal-Vorstellungen seiner Amtszeit (9., 12. und 15. April 2020) engagierte Dominique Meyer Hartmut Haenchen. Matthias Goerne singt den Amfortas, Stuart Skelton den Parsifal. Der Klingsor ist Boaz Daniel anvertraut, die Kundry Marina Prudenskaya. Und René Pape wird sich wieder einmal darum bemühen, mit seiner stimmlichen Gestaltung der Partie des Gurnemanz Alvis Hermanis’ Ideen zum Parsifal für die Wagner-Gemeinde so erträglich wie möglich zu gestalten.

XIV.
Mit Mozarts Così fan tutte kehrt Riccardo Muti am 22. Mai 2020 (auch: 24., 26. und 28. Mai) nach zwölfjährigem Interregnum ans Dirigentenpult der Wiener Staatsoper zurück. Szene und Ausstattung bilden für Wiens Opernfreunde ja kein Geheimnis mehr, fand doch die Première der Koproduktion mit dem Teatro di San Carlo in Neapel bereits im November 2018 statt. Regie führte Maestro Mutis Tochter Chiara. Für die Wiener Vorstellungen sind Genia Kühmeier, Marianne Crebassa, Alessio Arduini, Julie Fuchs und Marco Filippo Romano angekündigt. (Weißt Du, wie das wird?)

Anfang Juni (4., 7. und 11. Juni) wird Laurent Pellys Sichtweise, zum Großteil neu besetzt, auf Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor wieder aufgenommen. Evelino Pidò wird sich wieder um die Koordination von Graben und Bühne kümmern. Mit Brenda Rae kehrt — viel zu spät — eine Sängerin ans Haus zurück, welche bei ihrem Debut im Juni 2012 einen sehr vorteilhaften Eindruck hinterlassen hat. Rae sang auch die Première dieser Produktion an der Opera Philadelphia. In Wien werden George Petean, Michael Spyres und Ryan Speedo Green ihre Partner sein.

XV.
Die letzte Neuproduktion (Première am 15. Juni 2020, weitere Vorstellungen am 18., 21., 24. und 29. Juni) der Ära Meyer gilt Giuseppe Verdis Un ballo in maschera. Krassimira Stoyanova wurde als Amelia angekündigt, Francesco Meli als Gustavo, und Ludovic Tézier als Renato. Unterstützt werden sie von Monika Bohinec als Ulrica und Maria Nazarova als Oscar. Michele Mariotti dirigiert, Franz Josef Köpplinger wurde nach seinem Erfolg mit Gottfried von Einems Dantons Tod die szenische Leitung übertragen.

Ich weiß, daß viele Opernfreunde Emanuele Luzzatis Bühnenbilder als »Pappendeckel«-Produktion ablehnten. Ob sie auch um die erwiesene Theaterleidenschaft des historischen schwe­dischen König Gustav III. (1746 — 1792), des Erbauers der Kungliga Operan, der Schwe­dischen Nationaloper, wissen? Um das kleine königliche Theater des Palastes in Drottingholm, dessen Art der Kulissen Luzzati ebenso erfolgreich zu zitieren wußte, wie im letz­ten Akt das Hintergrundbild auf Stockholm als das »Venedig des Nordens« verwies? Um das Zitat von Europas Vorherrschaft aus dem größten Decken-Fresco der Welt, von Giovanni Battista Tiepolo für das Stiegenhaus der Würzburger Residenz in den Sommern 1752/53 geschaffen?

Wenngleich die Hoffnung lebt, daß das Team um Köpplinger Verdis Meisterwerk auch szenisch zu seinem Recht verhelfen wird: Die Frage nach der Notwendigkeit dieser Neuproduktion stellt sich dennoch.

XVI.
Den Abschluß der Ära Meyer/Legris bilden die Nurejew-Gala am 25. Juni sowie ein »Galakonzert des jungen Ensembles 2010 – 2020« am 28. Juni 2020: »Die Zahl der jungen Sängerinnen und Sänger, die im Ensemble der Wiener Staatsoper groß wurden und von hier aus die internationalen Opernbühnen eroberten, ist Legion. In einem Galakonzert treten viele der von 2010 bis 2020 engagierten jungen Ensemblesänger, die heute zu den klingenden Namen des Opernbetriebs zählen, auf«, verrät die Saisonvorschau. (Und dabei will ich es auch bewenden lassen.)

Als letzte Vorstellung seiner Amtszeit am 30. Juni 2020 plant Dominique Meyer eine einzelne Vorstellung von Giuseppe Verdis Falstaff. Zubin Mehta ist als Dirigent vorgesehen, die Besetzung versammelt Ambrogio Maestri, Simon Keenlyside, Yijie Shi, Olga Bezsmertna, Marie-Nicole Lemieux und Chen Reiss. Falstaff steht übrigens bereits am 13., 16. und 19. März 2020 am Spielplan. Daniel Harding soll diese drei Vorstellungen mit fast derselben Besetzung leiten. Allerdings ersetzt Hila Fahima Chen Reiss als Nannetta.

Die Vorstellung am 30. Juni 2020 dürfte übrigens die letzte Gelegenheit zu sein, David McVicars Arbeit im Bühnenbild von Charles Edwards und den Kostümen von Gabrielle Dalton zu sehen: Glaubt man dem »Flurfunk« aus dem Haus, plant Bodgan Roščić auch in diesem Fall die alte, aus dem Jahr 2003 stammende Inszenierung von Marc Arturo Marelli zu neuem Leben zu erwecken.

XVII.
Was bleibt?

Eine weltweit wohl einzigartige Vielfalt des Repertoires, unter anderem auch mit — für heutige Verhältnisse — überwiegend gut besetzten Serien von Don Giovanni, Eugen Onegin, L’Italiana in Algeri, Manon, Salome, Simon Boccanegra und Tosca, obwohl für Wagner-Freunde wieder Schmalhans Küchenmeister ist: Die Kulissen zu Der fliegende Holländer, Tannhäuser und Die Meistersinger von Nürnberg bleiben auch in Dominique Meyers letzter Spielzeit im Depot.

Verwunderung darüber, daß Verdis Otello in der nächsten Spielzeit (28., 31. Jänner, 3. und 7. Februar 2020) mit Krassimira Stoyanova, Stephen Gould und Carlos Álvarez besser besetzt scheint als die Première im kommenden Juni.

Erleichterung, daß Richard Strauss’ Elektra in der maximal Staatstheater-Niveau erreichenden Szene des mit dünner Haut gesegneten Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg am 15. Februar 2020 (auch am 6., 9. und 12. Februar) ihre Dernière erleben wird. (Hier steht, deutet man die Signale richtig, die Wiedereinsetzung der Produktion von Harry Kupfer aus dem Jahr 1989 bevor.) Strauss-Freunde werden sich mit der Besetzung (immerhin Semyon Bychkov, Waltraud Meier, Christine Goerke, Simone Schneider, Norbert Ernst und Michael Volle) zu trösten wissen.

Und die traurige Erkenntnis, daß manche Besetzung lieblos und zumeist aus dem Ensemble »zusammengewürfelt« wurde; man sehe sich beispielhaft die Besetzungen für Le nozze di Figaro an. Daran ändert auch ein mit klingenden Namen gespicktes Finale nichts.

XVIII.
Tutto nel mondo è burla. (Oder so ähnlich.)

  1. In diesem Zusammenhang seien folgende Gedanken zu Olga Peretyatko gestattet: Daß die Russin mit der in sozialen Netzwerken publizierten Selbstwahrnehmung ihrer gesanglichen Leistungen polarisiert, vermag kaum zu überraschen. Und ja, in Wien kursierten Gerüchte, daß man aus London und New York betreffend Peretyatkos Engagement als Lucia gewarnt hatte. Wer Dominique Meyer ein wenig kennt, wußte allerdings, daß er sich davon nicht irritieren lassen würde. Auch bleibt festzustellen, daß solche Umstände den Berichterstatter nicht interessieren dürfen. (Ebensowenig wie Alter, Aussehen, politische Ausrichtung oder sexuelle Vorlieben.) Das einzige, worüber zu berichten, was es zu ana­ly­sieren gilt, ist die am Abend gezeigte Leistung auf der Bühne. Und den einzigen gültigen Maßstab bildet die Partitur.
  2. Das Bundestheaterorganisationsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2015, in der Fassung vom 1. September 2015 bestimmt in § 2 (1), lit. 2, die »Förderung des Zeitgenössischen und innovativer Entwicklungen unter besonderer Berücksichtigung österreichischen Kunstschaffens und dessen Stärkung im internationalen Vergleich«. § 2 (1) lit. 3  fordert die »Gestaltung der Spielpläne in die Richtung, daß diese ein inno­vatives und pluralistisches Angebot in Form und Inhalt sowie auch künstlerisch risikoreiche Pro­duk­tionen beinhalten […]«.

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